© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Halbherziger Einsatz
Afghanistan: Aufstockung der Bundeswehr ist politisches Blendwerk
Peter Scholl-Latour

Es hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis im Pentagon durchgesetzt hat, daß sich Afghanistan in einer steten Abwärtsspirale befindet. Nun plötzlich schlagen die US-Geheimdienste Alarm und zeichnen ein überaus düsteres Bild von der Lage am Hindukusch. In Deutschland hingegen will das Parlament nicht zur Kenntnis nehmen, daß sich die Situation in Afghanistan nicht verbessert, sondern sich im Gegenteil Tag für Tag verschlechtert - derart verschlechtert, daß der Konflikt bereits über die Grenzen nach Pakistan übergreift.

Der Kampf eskaliert, und 2008 wird als verlustreichstes Jahr für die alliierten Streitkräfte in Afghanistan in die Statistiken eingehen. Und die Alliierten kommen mit ihrer Strategie nicht voran.

Die zehn französischen Fallschirmjäger, die im August von den Taliban getötet wurden, und die zwanzig verletzten gehörten einer Elitetruppe an. Aber sie haben Fehler gemacht, die typisch für den Afghanistan-Einsatz sind. Sie haben in einem Gelände operiert, das man nur zu Fuß und nicht im gepanzerten Fahrzeug erreichen kann. Sie haben den Gegner unterschätzt. Sie haben das Terrain nicht genügend erkundet und wurden von den afghanischen Truppen, die sie begleiteten, verraten und im Stich gelassen. Als die Luftunterstützung kam, rückten die Aufständischen, die in der Kampftaktik sehr viel dazugelernt haben, so nah heran, daß eine Bombardierung - Stichwort: friendly fire - nicht mehr möglich war.

Am Hindukusch gilt eben für die meisten Gebiete, daß man auch mit den gepanzerten Bundeswehrfahrzeugen Dingo und Wolf nicht durchkommen kann. Die Situation für die Alliierten ist verfahren. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Respekt also für die klare Aussage des ranghohen britischen Befehlshabers in Afghanistan, Luftwaffen-Brigadegeneral Mark Carleton-Smith: " Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen."

Just in der Situation, in der so manchem klar wird, daß es in Afghanistan nichts zu gewinnen gibt, hat sich Berlin nun dazu durchgerungen, das Bundeswehrkontingent um 1.000 Mann aufzustocken und den Isaf-Einsatz um 14 Monate zu verlängern. Eine kluge Entscheidung?

Wohl eher der Versuch, Solidarität mit dem Verbündeten USA zu zeigen. Dort steckt man mitten im Wahlkampf und behauptet plötzlich, daß Afghanistan wichtiger sei als der Irak. Sowohl Barack Obama als auch John McCain zeigen sich weniger am Irak interessiert zu sein als an einer Verlagerung des Schwergewichts nach Afghanistan. In dieser Übergangssituation kann Deutschland sich schwerlich querstellen und einfach aus dem Isaf-Kampf verabschieden.

An der Situation ändert die Aufstockung des Bundeswehrkontingents aber nichts. Von den deutschen Soldaten, die bereits vor Ort sind, haben mehr als 80 Prozent ihre Festungen nie verlassen. Und bei den 1.000 Mann, die nun dazukommen, wird der Anteil der kämpfenden Truppe ähnlich gering sein. So stehen, wenn es hochkommt, höchstens zusätzliche 200 Mann für Patrouillen außerhalb der Camps zur Verfügung. Deutschland bleibt weiterhin extrem vorsichtig und diskutiert lieber über den Abzug des deutschen Kommandos Spezialkräfte im Anti-Terror-Kampf "Operation Enduring Freedom" (OEF). Der Einsatz der deutschen KSK-Soldaten - typisch für das halbherzige deutsche Engagement in Afghanistan - ist mehr als seltsam verlaufen. Angeblich nie an Kampfhandlungen beteiligt, hatte das KSK, das ja eine sehr gut geschulte Eliteeinheit ist, offenbar nie die Gelegenheit gehabt zu kämpfen und erhielt statt dessen die mehr als undankbare Aufgabe, das umstrittene US-Gefangenenlager in Kandahar zu bewachen.

Ähnlich seltsam wirken Forderungen nach einer Forcierung des deutschen Engagements beim zivilen Wiederaufbau und der Polizeiausbildung. Vor allem die Diskussion um den Wiederaufbau ist eine Chimäre. Hier werden Zahlen vorgetragen, die wohl reiner Phantasie entspringen. Kaum ein NGO-, kaum ein UN-Mitarbeiter traut sich aus Kabul heraus. Wie soll man da helfen? Mit der Bundeswehr? Das Gegenteil ist wohl der Fall.

So sieht es die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die - auch unter der Taliban-Herrschaft - erfolgreich in Afghanistan gearbeitet hat, gar nicht so gern, in der Nachbarschaft der Bundeswehr tätig zu sein. Viele haben die völlig falsche Vorstellung, daß eine militärische Präsenz Schutz für Aufbaugesellschaften garantiert. Sie geraten dann ins Feuer, während sie sonst geduldet würden. Tritt humanitäre Hilfe in Verbund mit schwer bewaffneten Soldaten auf - die zudem aussehen wie die Marsmenschen - , kann kein Vertrauen bei der Bevölkerung aufkommen.

Auch die stets so gepriesene deutsche Polizeiaufbauhilfe hat über die Jahre wenig erbracht. Die afghanische Polizei ist eher eine unzuverlässige, oft räuberische Truppe. Etwas besser steht es um die Afghanische Nationale Armee, die aber durch Stammesrivalitäten gespalten ist. Ich persönlich würde mich weder auf die afghanische Polizei noch auf die Armee vertrauen. Wir haben ja deren "Effizienz" beim Anschlag auf Präsident Karzai im Mai erlebt. Die ganze Truppe ist wild auseinandergestoben. Dabei ist ihnen anzumerken, daß diese Soldaten gewiß keine Feiglinge waren. Aber sie waren sich bewußt, daß sie in den Augen ihrer Landsleute für eine falsche Sache kämpfen.

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