© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Geschichte, kunterbunt
Politische Zeichenlehre LVIII: Südamerikas Einheitsfarben
Karlheinz Weissmann

Die Auseinandersetzungen in Bolivien, die das Land bis an den Rand des Zerfalls gebracht haben, bilden einen scharfen Kontrast zu gleichzeitigen Bemühungen, Südamerika insgesamt zu einer funktionsfähigen Einheit zu machen. Auf Initiative Brasiliens trat Mitte September die Konferenz der Union südamerikanischen Nationen (Unasur) zusammen, der zwölf lateinamerikanische Länder angehören, um die Probleme zu klären und gleichzeitig drohende zwischenstaatliche Konflikte zu entschärfen.

Die Unasur ist der letzte in einer langen Reihe von Versuchen, einen Zusammenschluß Lateinamerikas zu erreichen. Dabei stand immer das Muster der Vereinigten Staaten von (Nord-)Amerika vor Augen, zumal auch die Entstehung der südamerikanischen Nationen einem ähnlichen Muster gefolgt zu sein schien: Selbständigkeit durch gewaltsame Trennung vom Mutterland und Schaffung einer neuen, republikanischen Ordnung.

In den Freiheitskämpfen gegen Spanien (Portugal ging mit seiner großen Kolonie Brasilien einen anderen Weg) am Anfang des 19. Jahrhunderts hatten sich jedenfalls aufklärerische und liberale Ideen der Gebildeten und der Oberschicht mit der Vorstellung einer umfassenden Föderation der "kolumbischen"  (nach Christoph Columbus) Länder verbunden. Seinen symbolischen Ausdruck fand dieser Gedanke in den "kolumbischen" oder "großkolumbischen" Farben: Gelb-Blau-Rot. Sie gehen wahrscheinlich zurück auf die persönliche Fahne Francisco de Mirandas, der zu den Führern der kreolischen Elite Venezuelas gehörte und nach einem abenteuerlichen Leben als spanischer Offizier, französischer Revolutionsgeneral und Insurgent in englischem Sold 1811 dazu beitrug, ein erstes Mal die Unabhängigkeit Venezuelas zu erkämpfen. Allerdings führten interne Konflikte bald zu seiner Absetzung und Inhaftierung.

Die von Miranda entwickelte Idee eines Zusammenschlusses aller ehemaligen spanischen Kolonien Südamerikas übernahm Simon de Bolivar, der zeitweilig mit Miranda befreundet gewesen war und 1819 einen neuen Aufstand begann, bei dem die gelb-blau-rote Trikolore schon als das Symbol des Freiheitskampfes galt. Der endete diesmal erfolgreich, so daß am 7. September 1821 die Republik Großkolumbien gegründet werden konnte, deren Gebiet die Territorien der bis dahin befreiten Provinzen Venezuela, Ecuador und Neu-Granada (das heutige Kolumbien mit dem Gebiet des heutigen Staates Panama) bildeten. Großkolumbien übernahm Gelb-Blau-Rot als Nationalfarben, wobei die gelbe Fläche manchmal doppelt so breit dargestellt wurde wie die beiden anderen. Die Frage, ob und wenn ja, für welchen Teil oder das Ganze Großkolumbiens (weiße oder hellblaue) Sterne auf dem blauen und/oder dem gelben Streifen angebracht wurden, ist nicht mehr zweifelsfrei zu klären.

Fest steht allerdings, daß nach der erreichten Unabhängigkeit und der Befreiung Chiles wie Perus dauernde Konflikte in den Landesteilen Großkolumbiens ausbrachen, die kurz nach Bolivars Tod 1830 zu dessen Auseinanderbrechen führten. Die Nachfolgestaaten hielten aber nicht nur an dem Führungsanspruch für ein zukünftiges Gesamt-Lateinamerika, sondern auch an den kolumbischen Farben fest: Kolumbien und Ecuador verwenden sie bis heute mit dem breiteren gelben Streifen, Ecuador für gewöhnlich mit dem auf der Mitte aufgelegten Staatswappen, Venezuela benutzt drei gleichbreite Bahnen, wobei auf der blauen sieben weiße, fünfzackige Sterne im Halbkreis angeordnet sind und das Staatswappen im linken Ober­eck erscheint.

Venezuela begeht auch an jedem 12. März die Día de la Bandera, den "Tag der Fahne", zur Erinnerung an jenen 12. März 1806, an dem Miranda zum ersten Mal an Bord des Schiffes "Leandro" in der Bucht von Haiti eine gelb-blau-rote Fahne gehißt haben soll. Hugo Chávez hatte zwar vor seinem Wahlsieg angekündigt, die Nationalflagge ändern zu wollen, ist von diesem Plan aber - trotz seines symbolpolitischen Aktivismus - mittlerweile abgerückt.

Die Tatsache, daß die Farben, die in der Vergangenheit für den Traum von der Einheit Südamerikas standen, längst zu Nationalfarben geworden sind, erklärt schon, warum niemand in der Unasur an einen Rückgriff dachte. Die Organisation verwendet eine rote Flagge, mittig aufgelegt einen gelben Kreis, darin mit gelber Kontur die Umrisse des Halbkontinents - ein wenig originelles Symbol für einen wenig ambitionierten Ansatz.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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