© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/08 26. September 2008

Film ohne Haltung
Bilderbogen: "Der Baader-Meinhof-Komplex" zählt nur Einschußlöcher
Martin Lichtmesz

Der Premiere von Bernd Eichingers jüngstem Monumentalstreifen "Der Baader-Meinhof-Komplex" nach dem Bestseller von Stefan Aust ging ein Medien-Hype voraus, der fast schon an ein abgekartetes Spiel denken läßt. "Ein Film zerstört den Mythos RAF", verkündete auf seiner Titelseite der Spiegel, der zu ebendiesem Mythos seit Jahrzehnten ein lukratives Dauerverhältnis pflegt. Nach Jahren der Stilisierung von Meinhof, Baader, Ensslin zu coolen Pophelden und tragisch verirrten Idealisten werde der Film, so Dirk Kurbjuweit, "die Debatte über den deutschen Terrorismus verändern", zeige er doch "schonungslos wie nie die Brutalität der Terroristen".

Die zweite große Schützenhilfe kam von Frank Schirrmacher, der sich bereits für Eichingers "Untergang" in die Verkünderpose geworfen hatte. Nun verfaßte er in der FAZ eine anspielungsreiche, vor Eitelkeit triefende Hymne: "Das Gefühl, das sich einstellt, kann man auf deutsch nicht gut, besser aber in der Sprache Janis Joplins benennen: 'heartbreaking'. Dieser Film macht seinen Zuschauer sehr empfindlich, auch das Licht in ihm ist sonderbar, leicht blendend, wie die Morgensonne nach der Rekonvaleszenz. (...) Ästhetisch gelingt ihm, in die ausdifferenzierte Literaturgeschichte einen neuen Typus von Frauen einzuführen ... 'Der Baader-Meinhof-Komplex' ist ein Film über die Liebe."

Das klingt nicht nur verdächtig nach prätentiöser Quatschprosa - das ist angesichts des angeharften Produkts blühender Unsinn. Als nicht weniger absurd, ja grotesk sinnverdrehend entpuppen sich auch die Behauptungen des Spiegels. Mit dem üblichen Schaum vor dem Mund eröffnete Bettina Röhl in der Welt das Gegenfeuer: "Bernd Eichinger behauptet, daß sein Film den Mythos der RAF zerstören würde. Zutreffend ist das Gegenteil. Der Baader-Meinhof-Film ist der GAU: mehr Heldenverehrung geht nicht!"

Ob "mehr Heldenverehrung" nicht geht, darüber mag man streiten, im Kern hat Röhl recht: Der Film unter der Regie von Uli Edel geriet zu einer leidlich unterhaltsamen Geister- und Achterbahnfahrt durch die Exzesse der roten Walpurgisnacht, ohne auch nur einen Millimeter unter die Oberfläche der bloßen Fakten und der bekannten Bilder einzudringen.

Als makabrer Bilderbogen ist der Film perfekt. Jedes Detail, jedes Gesicht, jeder Schauplatz wurde mit akribischer Sorgfalt und historischer Akkuratesse ausgewählt und in Szene gesetzt. Die Besetzung ist exzellent: Moritz Bleibtreu (Baader), Martina Gedeck (Meinhof) und Johanna Workalek (Ensslin) wirken beinah wie gespenstische Wiedergänger der realen Personen.

Keine Station der Legende wird ausgelassen: Benno Ohnesorgs Tod, das Attentat auf Rudi, Andreas und Gudrun in schmucken Lederjacken vor Gericht, die nackten RAF-Girlies im palästinensischen Trainingscamp, Ulrike in der Isolationshaft, Holger im Hungerstreik, Rudi am Grab Holgers: "Der Kampf geht weiter", schließlich Stockholm, Schleyer, Mogadischu und die "Todesnacht von Stammheim".

Die zehn Jahre der Handlung rattern in einem Affenzahn am Zuschauer vorbei. Dabei baut die Regie in jedem Moment auf das Vorwissen der Zuschauer und den Wiedererkennungseffekt der Bilder. Weit entfernt davon, die unbestreitbare Faszination der RAF-"Ikonen" zu hinterfragen oder gegen den Strich zu bürsten, gefällt sich der Film in der Fleißarbeit ihrer detailgetreuen Nachinszenierung.

"Wir haben uns bei der Inszenierung der Schießereien genau nach den Polizeiberichten gerichtet", so Regisseur Uli Edel. "So wurden beispielsweise bei der Schleyer-Entführung in der Körpern der Toten bis zu 25 Einschüsse gefunden. (...) Bei Buback waren es 15 Schüsse, und genau die habe ich gezeigt." Edel offenbart damit eine bestürzende, rein illustrative Auffassung davon, was "Realität" im Film sein kann und soll. Der im Kino völlig irrige Anspruch des "Genauso ist es gewesen" ist ebenso naiv wie Bettina Röhls Klage über den "Mythos", den der Film nun zementiere. Das Kino und die Geschichte leben nun einmal gleichermaßen von Mythen; insofern kann auch der historisch fundierteste Film nur ein Bild hinstellen. Ist dieses Bild stark genug, kann es die Macht über die Codierung und Sinngebung der Geschichte erlangen.

Wenn nun Bettina Röhl schreibt: "Wer behauptet, daß Blut und Gewalt nicht faszinierend seien, der hat die Menschheitsgeschichte nicht verstanden", dann kann man ergänzen: Der hat auch das Kino nicht verstanden. Eben nicht die Gewalt Baaders, die der Film schonungslos zu zeigen vorgibt, ist es, die sein Image demontieren könnte und seinem (Leinwand-)Ruhm im Wege stünde, im Gegenteil. "Ich sah eine Fotografie von Guevara mit dem Gewehr in der Hand und begriff, daß man in Guevara zuerst den Mann mit dem Gewehr sah und daß man ihn vor allem deswegen liebte", bemerkte Eugène Ionesco 1970.

Überaus heuchlerisch ist es auch, die vorgebliche Anteilnahme für die Opfer an der realistischen Inszenierung ihres Sterbens, heute ohnehin Standard jedes Actionfilms, zu messen. Statt die Einschußlöcher in Bubacks Körper zu zählen, wäre Edel besser beraten gewesen, tiefer in die Charaktere einzutauchen, in ihre Emotionen und Affekte ebenso wie in ihre Ideologie, der ja immer noch ein vager "berechtigter" Kern zugestanden wird.

Freilich, wer will, kann sich den betondummen Größenwahn, die krasse Verblendung, die widerwärtige Selbstgerechtigkeit und steigende Paranoia der Täter beiläufig zusammenreimen, aber Edels Regie rast über jene wesentlichen Momente hinweg, die etwa Heinrich Breloer in "Todesspiel" (1997) und Marco Bellocchio in "Buongiorno, Notte" (2003, über die Entführung Aldo Moros) entschieden auf den Punkt gebracht haben. Wie "Der Untergang" ist "Der Baader-Meinhof-Komplex" ein Film ohne Haltung, ohne künstlerische Perspektive.

Eichinger und Edel, beide der Generation der Terroristen entstammend, haben es nicht über sich gebracht, radikal mit den Ursachen und Hintergründen des RAF-Horrors abzurechnen. Die totalitäre Wendung ist ja immerhin der Dorn im Fleisch der sentimentalen Erinnerung an das chaotische Gebrodel aus Emotionen und chiliastischer Revolutionsromantik, die den Wiedertäuferspuk dieser Jahre hervorgebracht hat, dessen Früchte man heute allerdings als unverzichtbare, kanonisierte Errungenschaften der Bundesrepublik betrachtet. Daß die RAF aus ein und demselben Ei gekrochen ist, will man nicht wahrhaben. Ein Zwiespalt, der tief in die Geschichte zurückreicht: Denn was waren die Meinhof, Enss­lin, Baader, Dutschke anderes als die Enfants terribles der Umerziehung, die sich am Ende gegen die eigenen "Eltern" wandten?

Dergleichen Überlegungen liegen Eichinger und Edel offenbar fern. Zur Premiere in München ließ sich das Duo lachend mit spielerisch geballter Faust fotografieren: "Kritische Aufarbeitung" hin und her, wir waren ja alle mal jung, und am Ende ist eh alles fesch gewesen und gut ausgegangen, zwinker, zwinker. Ihrem nostalgischen Sex-and-Crime-Knaller winken zweifellos fette Profite und wahrscheinlich die Nominierung für den Auslands-Oscar.

Foto: Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) bei ihrem Prozeß im Gerichtssaal von Stammheim

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