© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/08 19. September 2008

Sturm auf die weiß-blaue Festung
Reportage: Vor der Landtagswahl in Bayern mausern sich die Freien Wähler zu einer ernsthaften Alternative für konservative Wähler
Hinrich Rohbohm

Sie steht im Blickpunkt des medialen Interesses. Wieder mal. In ihrem leuchtend grünen Dirndl ist Gabriele Pauli schon von weitem zu erkennen. Fleißig steht sie auf dem Gillamoos-Volksfest in Abensberg in Niederbayern Journalisten für Interviews zur Verfügung. Vorbei ist die Zeit, in der die ehemalige Landrätin als enfant terrible die CSU nervte. Jetzt steht sie vor dem Weißbierstadel und lächelt in die Kameras der Fernsehanstalten. Vor gut drei Monaten ist die 51jährige Mitglied bei den Freien Wählern geworden. Eine politische Gruppierung, die bei den bayerischen Landtagswahlen für eine faustdicke Überraschung sorgen könnte. Jüngste Meinungsumfragen sehen sie derzeit bei fünf bis sieben Prozent. Und damit im bayerischen Landtag.

Wer aber sind die Freien Wähler? Und wie kommt es, daß sie plötzlich kurz davor stehen, den Sprung in die überregionale Politik zu schaffen? Die Antworten lassen sich bei der CSU finden. An den Stammtischen. In den Bierzelten. Und auch auf dem Gillamoos-Fest. Gillamoos, das ist eigentlich ein Jahrmarkt, der seit 1583 vor den Toren der Altstadt von Abensberg stattfindet. Doch zugleich ist es ein politischer Leckerbissen der ganz besonderen Art. Jede politische Partei hält in einem großen Bierzelt einen Frühschoppen ab. Hier wird von Polit-Promis Klartext gesprochen, hier werden deftige Reden gehalten, vor Tausenden von Zuhörern Frontalattacken auf den politischen Gegner abgefeuert.

"Für Bayern sind die nicht mehr gut genug. Wenn die sich ein wenig herausgewagt  hätten aus ihren Parteizentralen hin zu den Wirtshäusern, hätten sie gewußt, wie die Stimmung ist.", greift Hubert Aiwanger im vollbesetzten Weißbierstadel unter frenetischem Beifall die CSU an. Der bayerische Landesvorsitzende der Freien Wähler zeigt sich in guter Form, spricht mit fester Stimme, entschlossenem Blick, mit hochgekrempelten Ärmeln. "Zwei Leute, die so danebenliegen, denen können wir keine Zweidrittel-Mehrheit in die Hand geben", feuert der 37jährige eine Salve in Richtung des Tandems Huber/Beckstein. Und verdeutlicht das Bild der beiden CSU-Politiker auf einem Fahrrad. "Das sind zwei Herren, die die Beine so kurz haben, daß sie gar nicht auf die Pedale kommen. Die können doch gar nicht im Sattel sitzen, wenn es bergab geht". Gejohle im Saal. Die Zuhörer sind begeistert. "Der redet frei von der Leber weg", zeigt sich etwa der 53 Jahre alte Benno Haindl von Aiwangers Rede angetan. "Die sagen die Wahrheit", ist auch Josef Obermeier vom Auftritt der Freien Wähler schwer beeindruckt.

Unterdessen hält sich die Begeisterung bei der CSU in Grenzen. Allein 4.000 Besucher sind ins Hofbräu-Zelt gekommen, um Ministerpräsident Günther Beckstein reden zu hören. Sie werden enttäuscht. Der Ministerpräsident spricht viel über Bundespolitik, wenig über Bayern. Standardphrasen zur Pendlerpauschale und zu den Linken. Angereichert mit kühlen, langweiligen Statistiken ohne jegliche Emotionen. Schwach. Die Gäste merken es, unterhalten sich über alles mögliche, nur nicht über Beckstein und die CSU. Der Rede lauschen sie kaum noch. Und je länger sie andauert, desto mehr Menschen verlassen das Zelt. Im Weißbierstadel dagegen geht  keiner. Man spürt förmlich, daß da eine neue politische Kraft zum Sprung ins Maximilianeum ansetzt. Eine Kraft, die in den Niederungen der bayerischen Kommunalpolitik groß geworden ist. Dort sind ihre politischen Hochburgen, in denen sie mittlerweile zahlreiche Landräte und Bürgermeister stellt.

Wie beispielsweise in Konnersreuth. Der gerade einmal 2.000 Einwohner zählende Ort in der Oberpfalz nahe der tschechischen Grenze galt einst als uneinnehmbare Festung der CSU. Hier, in den Tiefen bayerischer Provinz herrschte die CSU. Ihr Bürgermeister Michael Hamann regierte seit 24 Jahren, war auch bei der Wahl 2004 wieder mit 80 Prozent der Stimmen zum Gemeindeoberhaupt gewählt worden. Doch bei den Kommunalwahlen im März dieses Jahres wurde alles anders. Die als uneinnehmbar geltende CSU-Festung wurde von den Freien Wählern gestürmt, ihr Kandidat Max Bindl mit 58,1 Prozent in einer Stichwahl zum neuen Bürgermeister gewählt. Zwar ist zu berücksichtigen, daß Alt-Bürgermeister Hamann nicht wieder kandidierte. Dennoch glich die Wachablösung in dem Ort einem politischen Erdbeben.

Es könnte symbolisch sein für das, was sich derzeit in Bayern abzeichnet. Enttäuschte CSU-Wähler begeben sich auf die Suche nach Alternativen zum glücklos, erfolglos und oft ungeschickt agierenden CSU-Duo Huber/Beckstein. Und stoßen dabei mit den Freien Wählern auf eine politische Kraft, die auf kommunaler Ebene bereits eine feste Größe in Bayern ist. Nicht wenige von denen waren früher einmal selbst in der CSU. Und sogar der Sohn von Ex-Ministerpräsident Max Streibl kandidiert für die Freien Wähler.

Ihr Gründer ist Armin Grein, ein 69 Jahre alter ehemaliger Hauptschullehrer, der schon 1984 im Kreis Main-Spessart auf dem Ticket der Freien Wähler mit 51 Prozent zum Landrat gewählt worden war. Sechs Jahre später wurde er mit einem Traumergebnis von 97 Prozent wiedergewählt. Heute ist er Bundesvorsitzender der Freien Wähler und versucht, die Gruppierung auch außerhalb Bayerns zu etablieren. Sollte das gelingen, könnte in der bundespolitischen Landschaft gar ein Sechs-Parteien-System entstehen. Besonders für bürgerliche Parteien könnte da ein potentieller neuer Koalitionspartner entstehen. "Mit denen kommen wir gut zurecht", beschreibt Nicola Womes denn auch das Verhältnis zur neuen Konkurrenz. Die 46 Jahre alte Fachärztin ist Vorstandsmitglied der CSU Ingolstadt-Südwest. Und befindet sich mitten im Wahlkampf. In der Fußgängerzone der Audi-Stadt haben die Christsozialen einen riesigen Infostand aufgebaut. Weißblaue CSU-Ballons schimmern schon von weitem entgegen. Es gibt Kuchen. Und Infomaterial über Direktkandidat Thomas Obermeier. "Für Sie wieder in den Landtag" lautet die äußerst kreative Botschaft auf den Handzetteln.

Es ist symptomatisch für die derzeitige Einfalls- und Konturlosigkeit der Union. Zeigt es doch, wie sehr selbst die CSU bereits vermerkelt wurde. Womes rechnet dennoch mit 55 bis 57 Prozent für ihre Partei. Die Bürger schimpfen zwar, aber letztlich würden sie doch wieder die CSU wählen, ist sie überzeugt.

Bei den Freien Wählern schätzt man das anders ein. "Ich gehe schon davon aus, daß die unter 50 Prozent rutschen werden", prognostiziert deren Landtagskandidat für den Wahlkreis Ingolstadt/Neuburg, Markus Reichhart. Seine eigene Gruppierung sieht er bei fünf Prozent. Für den Einzug in den Landtag werde es eng, er verlasse sich nicht auf die Zahlen der Demoskopen. "Koalitionen gibt es mit uns aber grundsätzlich nicht", sagt er. Das liege am Selbstverständnis der Freien Wähler, unabhängig bleiben zu wollen. Mitte, bürgerlich-konservativ. So sehen sich  die meisten von ihnen. Ja, es ist schon so, daß viele aus der CSU zu ihnen gekommen seien. Eine Zusammenarbeit mit den Christsozialen sei vorstellbar, aber kein Selbstgänger. Was irgendwie doch nach Koalition klingt...    

Foto: Freie-Wähler-Gründer Armin Grein, Gabriele Pauli: Von den Niederungen der Kommunalpolitik ins Landesparlament?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen