© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/08 05. September 2008

Schlafmützigkeit gegenüber der Parallelgesellschaft
Die Anwältin eines Ehrenmordopfers klagt die deutsche Justiz an / Das Landgericht Mönchengladbach ließ die Verbreitung unterbinden
Fabian Schmidt-Ahmad

Das Buch sollte über einen Skandal berichten - und wurde selbst zu einem. Im Mai 2008 bestätigte das Landgericht Mönchengladbach das Vertriebsverbot für "Kein Schutz, nirgends" von Gülsen Celebi. Die in Düsseldorf praktizierende Rechtsanwältin schildert hier den tragischen Fall ihrer Klientin Rukiye P., die im März 2007 zusammen mit ihrer neunzehnjährigen Tochter von ihrem Ehemann Erol P. ermordet wurde. Ein Justizskandal, wie Celebi meint. Denn die Tat wurde nur wenige Stunden nach einer Sorgerechtsverhandlung verübt, bei der Erol P. anwesend war, gleichwohl gegen ihn bereits seit Februar ein Haftbefehl vorlag.

Celebi schildert das soziale Umfeld ihrer Klientin, deren Weg durch Zwangsheirat über Holland nach Deutschland. Die protokollhafte Darstellung vermittelt eine unverstellte Sicht auf die in Jahrzehnten entstandene Parallelgesellschaft mit ihren archaischen Strukturen. Brutalität und Terror haben dort häufig einen selbstverständlichen Platz im Familienleben, um die gegebene männliche Machtausübung zu bewahren. Toleranz wird als Schwäche gesehen, das deutsche Rechtssystem verachtet. Aber gerade dieses deutsche Rechtssystem soll nach Ansicht Celebis stets eingreifen, sobald eine Situation zu eskalieren droht.

Um dann dessen Versagen festzustellen, kommt es zu Tragödien wie dieser: Nach einem jahrzehntelangen, unvorstellbaren Martyrium läßt sich Rukiye P. 2006 von ihrem Ehemann scheiden. Doch dieser verfolgt und bedroht sie weiterhin. Im Frühjahr 2007 wendet sie sich hilfesuchend an die Anwältin Celebi, die einen Haftbefehl erwirkt. Erol P. hatte unter anderem versucht, die Schwester von Rukiye P. zu vergewaltigen, die nun zu einer Aussage bereit ist. Später wird die Familie der Schwester die einstweilige Verfügung erwirken. Erol P., dessen Vorname übersetzt lautet "Du bist ein Mann", kehrt nach Holland zurück. Der Haftbefehl gilt nur für Deutschland und bleibt wirkungslos - auch an jenem verhängnisvollen 9. März.

Es geht um das alleinige Sorgenrecht für die Kinder. Vor dem Familiengericht trifft Rukiye P. zu ihrem Entsetzen Erol P., der überraschend aus Holland zurückgekehrt ist. Zum ersten Mal sieht Celebi den Peiniger ihrer Klientin: "Erol beobachtet uns, scheinbar ruhig. Er trägt einen dunklen Anzug und einen schwarzen Mantel und wirkt schick und seriös. Mißhandelnde Ehemänner müssen nicht aussehen wie anatolische Bauern. Auch Akademiker prügeln ihre Frauen." Der überrumpelte Familienrichter läßt Erol P. unbehelligt das Gebäude verlassen. Später wird dies Celebi als skandalöses Fehlverhalten deuten: "Warum die deutsche Justiz den Ehrenmord an Rukiye P. nicht verhindert hat", lautet der Untertitel.

Doch ist auch Celebis eigene Rolle fragwürdig. Warum hat sie das Gericht nicht im Vorfeld über die Gefährlichkeit von Erol P. und den schwebenden Haftbefehl informiert? Sie war als einzige der Juristen umfassend im Bilde. Zumindest auf Polizeischutz hätte sie bestehen können. Statt dessen bleibt der schale Geschmack zurück, daß der Titel "Kein Schutz, nirgends" tatsächlich wörtlich gelesen werden muß. Die einseitige Schuldzuweisung an die deutsche Justiz ist bei weitem nicht so eindeutig, selbst in der Darstellung von Celebi nicht. Völlig unberücksichtigt bleibt bei Celebi der Umstand, daß das deutsche Rechtssystem gar nicht in der Lage ist, die entstandene Parallelgesellschaft zu beherrschen. "Vielleicht haben viele Deutsche Angst, als rassistisch zu gelten, wenn sie Gewalt in zugewanderten Familien kritisieren", vermutet Celebi als Ursache. Das ist gewiß mit ein Grund, doch übersieht Celebi, die als kurdisches Pflegekind in einer deutschen Familie aufwuchs, daß ganz einfach die Rechtsvorstellungen andere sind und unser Rechtssystem dafür schlichtweg nicht ausgelegt ist. Hier lediglich ein angebliches Versagen der deutschen Justiz anzuprangern geht am eigentlichen Kern des Problems vorbei. So reiht sich Celebi nur in die große Schar der Einwanderer ein, die zwar für ihre Klientel viel fordern, aber sich nicht die Grundlage vergegenwärtigen, auf der ein so kostbares Gut wächst wie das Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Gülsen Celebi: Kein Schutz, nirgends. Warum die deutsche Justiz den Ehrenmord an Rukiye P. nicht verhindert hat, Wilhelm Heyne Verlag, München 2008, broschiert, 255 Seiten, 9,95 Euro

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