© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/08 29. August 2008

Vorkämpfer der Ethno-Elite
Integration: Der indischstämmige SPD-Politiker Sebastian Edathy setzt seine Herkunft als politisches Argument ein
Thorsten Hinz

Die Rassismuskarte zieht der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy gern und oft. Im Frühjahr 2008 sorgte er dafür, daß das thüringische Rudolstadt als Nazi-Nest in die Schlagzeilen geriet. Ein aus dem Westen stammender Mitarbeiter der evangelischen Kirche hatte nach sieben Jahren festgestellt, daß seine indischstämmige Frau und seine Kinder hier rassisch diskriminiert würden. Die Kunde erreichte Edathy, der die Medien informierte. Der Fall schaffte es bis in die Abendnachrichten der ARD. Nachprüfungen ergaben freilich, daß die Probleme eher bei dem als schwierig geltenden Kirchenmitarbeiter als bei den Rudolstädtern lagen.

Gegen die ARD wurde Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt, seitdem hat man nie wieder etwas von dem "Fall" gehört. Es sagt viel aus über die Kräfteverhältnisse und die Atmosphäre im Land, daß Edathy die Petzerei nicht geschadet hat, im Gegenteil. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses darf sich als Politiker mit Zukunft fühlen.

Zwei Widersprüche und eine Leerformel

Zur Zeit profiliert er sich als Gegenpart zu Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und empfiehlt sich als dessen Nachfolger in einer Linkskoalition. Sein neuester Profilierungsversuch ist ein Zeitungsinterview, in dem er Überlegungen in der Union zum Staatsbürgerschaftsrecht als "völkisch" und "biologistisch" abqualifiziert. Die NS-Assoziation ist kein Zufall, sie gehört zum Standardrepertoire Edathys.

In dem Interview mit der Welt geht es um das Optionsmodell, nach dem Kinder von Ausländern, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, sich zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr entweder für die deutsche Staatsbürgerschaft oder die ihrer Eltern entscheiden sollen. Edathy hält das aufgrund seiner "persönlichen Erfahrung" für unzulässig. Sein Vater stammt aus Indien, wurde in Rom zum Priester geweiht und trat später zum evangelischen Glauben über. Als er "in Deutschland als evangelischer Gemeindepastor verbeamtet wurde, mußte er seinen indischen Paß abgeben, er wurde vor seinen Augen zerrissen. Das war ein kränkendes Erlebnis."

Wurde der Ausweis wirklich "zerrissen"? Das wäre in der Tat eine unnötige, erniedrigende Geste gewesen. Die DDR-Ausweise und -Pässe wurden beim Umtausch gegen die bundesdeutschen Dokumente lediglich durch einen kleinen Schnitt mit der Schere ungültig gemacht und als Souvenir mit nach Hause genommen. Doch von solchen Äußerlichkeiten abgesehen: Die Übernahme ins Beamten- begründet nun mal ein besonderes Treueverhältnis. Der deutsche Staat will sich der uneingeschränkten Loyalität des Beamten sicher sein und vergilt sie ihm mit Privilegien. Wer den Loyalitätsbeweis, den die Übernahme der deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet, nicht antreten will, muß eben auf die Privilegien verzichten. Einem Innenexperten müßte das einleuchten.

Was hält er am Optionsmodell für kritikwürdig? "Diese Bürger sind hier geboren und aufgewachsen, ihre Lebensperspektive liegt in Deutschland. Wenn sie der Optionspflicht nicht nachkommen, würden sie im Extremfall zwangsweise ausgebürgert. Ich bezweifle sehr, daß dies für die Demokratie sinnvoll ist." Drei Sätze, in denen zwei Widersprüche und eine Leerformel stecken. Wer sich sicher ist, daß seine Lebensperspektive in Deutschland liegt, für den ist die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft keine unüberwindbare Hürde. Wer aber auf seine Einbürgerung verzichtet, kann logischerweise nicht "zwangsweise ausgebürgert" werden. Und warum soll es schlecht sein für die Demokratie, wenn jemand auf die Zugehörigkeit zum deutschen Demos verzichtet, weil er sich einem anderen eben doch näher fühlt? Edathy setzt die Demokratie mit Wählerstimmen für die SPD gleich.

Überlegungen innerhalb der Union, das Optionsmodell zugunsten des alten Abstammungsrechts aufzugeben, nannte er "im Kern Biologismus und völkische Ideologie. Damit würden wir zurück ins 19. Jahrhundert fallen. Nein, die Zeit ist reif, die Diskussion über das Thema Mehrstaatlichkeit zu entideologisieren und zu praktischen Lösungen zu kommen." Nur sind es gerade Politiker wie Edathy, die eine Entideologisierung der Debatte verhindern. So wird beispielsweise zwischen Deutschland und Polen die doppelte Staatsbürgerschaft, die für Spätaussiedler, Angehörige der deutschen Minderheit und binationale Ehen von Interesse ist, stillschweigend geduldet. Sie wirft zwischen Deutschen und Polen eben kaum Probleme auf. Ganz anders verhält es sich bei Angehörigen von Parallelgesellschaften, die von außen steuerbar sind. Das ursächliche Problem dafür liegt nicht, wie Edathy oft behauptet, in der vom Staat zu verantwortenden mangelnden "Integration", sondern in einer falschen Zuwanderung, für die er selber Verantwortung trägt.

Gleichsam nebenbei hat Edathy in dem Interview die eigene ethnische Herkunft als politisches Argument in die Debatte geworfen und dieses mit der NS-Assoziation kurzgeschlossen, in der Erwartung, mit dieser Kombination den politischen Gegnern einen finalen Schlag zu versetzen. Er ist nicht der erste, der dieses Verfahren anwendet. Zeichnet sich hier die Argumentationsstruktur einer neudeutschen Ethno-Elite ab, die den "ethnischen Deutschen" ihre Überlegenheit demonstriert?

Im übrigen ist der 1969 geborene Edathy ein typisches Gewächs aus dem Treibhaus des deutschen Parteienstaats. Als Beruf gibt er ausnahmsweise nicht "Politologe", dafür aber "Soziologe" an. Seit 1991 arbeitete er im Büro einer niedersächsischen Landtagsabgeordneten, 1993 wurde er Persönlicher Referent des Bundestagsabgeordneten Ernst Kastning. Als Kastning 1998 aus dem Bundestag ausschied, übernahm Edathy dessen Wahlkreis und zog selber in den Bundestag ein. Seit ganz jungen Jahren wird seine soziale, geistige, berufliche, gesellschaftliche, moralische Existenz bruchlos vom Politikbetrieb geprägt und liegt sein Ehrgeiz darin, dessen Mechanismen und Idiome perfekt zu beherrschen. Auch äußerlich entspricht er dem bösen Klischee des klein- beziehungsweise zartwüchsigen Nachwuchspolitikers, der durch martialische Trompetenstöße den virilen Kraftnachweis zu erbringen sucht. An seinem Willen zum Aufstieg gibt es keinen Zweifel. Die Vorstellung, daß er ihm gelingt, ist unheimlich.

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