© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/08 22. August 2008

Gedanken-Kosmos der unbegrenzten Möglichkeiten
Die höchst unterschiedlichen Theorien des britischen Astrophysikers Stephen Hawking eint nur eines: Sie sind nicht überprüfbar
Michael Manns

Es sind diese Fotos, die einem so zu Herzen gehen: In einem Elektro-Rollstuhl sitzt seltsam zusammengekrümmt ein abgemagertes Bündel Mensch. Hilflos fällt der Kopf zur Seite. Verständigen kann er sich nur mit einem Sprachcomputer, den er per Augenbewegung steuert. Doch so zerstört sein Körper auch durch seine Muskelkrankheit ist, seine Gedankenkraft ist zutiefst beeindruckend: Stephen Hawking, 66, Kultfigur der Kosmologie, Experte für Schwarze Löcher und Bestseller-Autor ("Eine kurze Geschichte der Zeit", weltweite Auflage: über zwanzig Millionen Exemplare).

Jüngst hat der möglicherweise berühmteste lebende Wissenschaftler wieder für Aufregung gesorgt: Der Brite, Inhaber des Lukasischen Lehrstuhls für Angewandte Mathematik in Cambridge, hat einen großen Teil seines Theoriengebäudes zertrümmert und einer Revision unterzogen - wieder einmal. So nimmt denn bei allem gebotenen Respekt die leise Kritik an dem Physikgenie zu.

Hawkings Thema ist der Urknall -und die Zeit davor. Die Urknalltheorie hat sich seit einigen Jahren in der Forschergemeinde fest etabliert. Die Kosmologen nehmen an, daß vor ziemlich genau 13,7 Milliarden Jahren unser Universum entstanden ist. Big Bang nannte das der britische Astrophysiker Fred Hoyle. Seitdem dehnt sich der Kosmos in jeder Sekunde etwa um die Größe der Milchstraße aus. Schon am Anfang seiner Karriere war der Urknall Hawkings Thema. Zusammen mit seinem Landsmann Roger Penrose ("Computerdenken") entwickelte er (zwischen 1967 und 1970) neue mathematische Methoden in der Relativitätstheorie. Sie bewiesen, daß eine Urknall-Singularität unausweichlich ist. Singularität - was bedeutet das? Ließ man den Film über die Geschichte des Universums und seiner Entwicklung rückwärts laufen, würde man sehen, wie die Galaxien zusammenschnurren und alles in einen Punkt stürzt - die Singularität. Und da beginnen die Probleme. Dichte, Temperatur, Energie und Krümmung werden unendlich, Raum und Zeit null. Damit ist die Physik am Ende. Eine mathematisch-empiriegeleitete Beschreibung der Welt kann nur mit endlichen Werten arbeiten. Hawkings Fazit damals: Das einzige, was wir über den Anfang wissen, ist, daß wir im Rahmen der Naturwissenschaft nichts darüber wissen können.

Anfang der achtziger Jahre kam Hawking auf die Frage nach dem Anfang der Welt zurück und entwickelte eine neue Theorie (zusammen mit James B. Hartle). Danach ist unser Universum in sich abgeschlossen und keinerlei äußeren Einflüssen unterworfen. Es wäre weder erschaffen noch zerstörbar. Es würde einfach nur sein. Zugleich prophezeihte der Physiker, daß die Ausdehnung des Kosmos eines Tages umkehren und alles in einem großen Knall zusammenbrechen würde.

1981 arbeitete Hawking noch an dieser Konzeption, da wurde er in den Vatikan eingeladen. Der damalige Papst Johannes Paul II. ermunterte den Physiker (der sich selbst allerdings als dezidierten Positivisten sieht) ausdrücklich, das Universum weiter zu erforschen. Nur den Urknall sollte er jedoch als Augenblick der Schöpfung und Werk Gottes respektieren. Hawking reagierte in seinem Buch allerdings recht spöttisch auf diese Begegnung. Er habe im Vatikan Angst gehabt, es könne ihn ein ähnliches Schicksal ereilen wie einst Galilei.

Aber auch das Hartle-Hawking-Modell überlebte nicht lange. 2002 stellte die FAZ fest: "Es kann heute als widerlegt gelten. Es enthält Aussagen über die großräumige Struktur auch des tatsächlich beobachtenbaren Universums, die sich inzwischen als unzutreffend herausgestellt haben." Doch da hatte Hawking, der Meister des Universums, diese Theorie des pulsierenden Weltalls auch schon wieder über den Haufen geworfen. Zusammen mit Turok entwickelte er jetzt ein All, das sich ewig ausdehnt ("open inflation"). Hawkings Interesse galt auch der "Großen Vereinheitlichten Theorie", eine Super-Theorie allen Seins, in der Gott überflüssig ist beziehungsweise mit dieser Weltformel identisch sein würde. In "Einsteins Traum" schrieb er: "Wenn mich meine Zuversicht nicht täuscht, werden wir eines Tages ein schlüssiges Modell finden, das alles im Kosmos beschreibt. Gelingt uns das, wird es ein wirklicher Triumph für die Menschheit sein."

Doch 2004 dann die Überraschung. Hawking resignierte. In einer Vorlesung in Cambridge gab er das Scheitern bekannt. Der katholische Denker und Theologe Hans Küng kommentierte diesen Theorieflop kritisch: "Damit ist der prätentiöse Ehrgeiz eines Physikers, der die ganze Welt in einer physikalischen Theorie unterbringen wollte und vor der Herabsetzung der Philosophie, Theologie und Anthropologie nicht zurückschreckte, auf den Boden der Wirklichkeit gefallen."

Jetzt also wieder eine Urknall-Korrektur. Der Big Bang vor etwa 14 Milliarden Jahren sei nur eine Brücke gewesen zwischen einem Vorgängeruniversum (das sich zusammenzieht) und unserem (das expandiert). Spezialität des Vorgängeruniversums: Dort soll die Zeitrichtung entgegengesetzt sein. Das dürfte schwierig zu überprüfen sein. In der Zwischenzeit bekommt der Kult um die Kosmologie-Ikone zunehmend mystische Züge. Die französische Philosophin Helene Mialet adoriert den Wissenschaftler förmlich mit den Worten: "Weder Alter noch Tod fürchtend, wurde Hawking zu einer Art von Engel, gleichermaßen unsterblich, immateriell und allgegenwärtig."

Physik-Nobelpreisträger Robert Laughlin ließ denn auch vor einigen Monaten eine kräftige Philippika gegen die abgehobene Meta-Theoriebildung in der theoretischen Physik los: "Ich bin es satt, in Seminaren zu sitzen und mir Spekulationen über Schwarze Löcher und Superstrings anzuhören. Niemand redet über Experimente. Wer wirklich originelle Dinge hervorgebracht hat, der weiß: Du mußt dich zu disziplinieren wissen. Rede nur über Dinge, die auch meßbar sind."

Das "Orakel von Cambridge", wie Hawking schon in einigen Medien genannt wurde, war auch immer mal für den Nobelpreis im Gespräch. Doch das Komitee erklärte 2001: "Hawking hat großartige Arbeit geleistet, aber wir sind uns noch nicht sicher, ob sie wirklich in Beziehung zur Natur steht." Im Klartext: Seine Theorien lassen sich kaum durch Messungen überprüfen.

Abbildung: Computeranimation des Urknalls: "Als Augenblick der Schöpfung und Werk Gottes respektieren"

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