© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Renegat war er nie
Heraus gegen uns, wer sich traut: B. Rabehl wird siebzig
Bärbel Richter

Er gilt als Renegat - dabei störte ihn nur die Einseitigkeit, die im Jahrhundert der Ideologien so viele sich freiwillig auferlegten. Bernd Rabehl war immer ein Wanderer zwischen den Gegensätzen - und eine Spielernatur dazu. Beides war ihm buchstäblich in die Wiege gelegt. Mitten im Krieg, 1944, läßt die Mutter sich scheiden. Der Vater, Stabsfeldwebel im Sanitätsdienst und Glücksspieler, setzt sich beizeiten nach Westen ab. Die Familie bleibt zurück im brandenburgischen Rathenow. Eine Entscheidung, die den politischen Werdegang Rabehls entscheidend prägen wird. Einstweilen aber prägen ihn die nächtlichen Bombeneinschläge, das Sirenengeheul - und das Erkennungszeichen der BBC: die Mutter hört heimlich "Feindsender".

Hang und Talent zur großen politischen Bühne scheint er schon früh gehabt zu haben, tatkräftig gefördert von seinen Lehrern. Bereits 1948, als andere sich noch verweigerten, tritt er in die FDJ ein, wird Mitglied in einer Agitprop-Theater-Gruppe, in der er sich als Schauspieler übt. Von 1949 an steht er bei den Gedenkfeierlichkeiten zum 8. Mai am sowjetischen Ehrenfriedhof von Rathenow vor den Ehrenformationen der Roten Armee, Partei- und Betriebsdelegationen und mehr oder minder freiwillig anwesenden "Volksmassen" und trägt Gedichte von Erich Weinert oder Johannes R. Becher vor. Er singt auch im "Karl-Marx-Chor". Hier lernt er ausgerechnet die legendäre Hymne der bürgerlichen Revolution "Die Gedanken sind frei". Es wird sein Lieblingslied.

1952, als fast alle in die FDJ ein- und zur Jugendweihe antreten, verweigert er sich. Stattdessen läßt er sich konfirmieren. Der Pfarrer bringt den Konfirmanden Jesus als Freiheitskämpfer nahe. Die Konfirmation hat überraschenderweise keine Konsequenzen.

Am 17. Juni 1953 erlebt er oppositionelle Kommunisten und Sozialdemokraten auf den Barrikaden. Ein Klassenkamerad, am Mord an einem stadtbekannten Stasi-Spitzel beteiligt, verschwindet für Jahre im Zuchthaus. Rabehl selbst entfernt das Stalin-Bild aus dem Klassenzimmer. Nach der Niederschlagung des Volksaufstands ist für ihn auch dieser Sozialismus erledigt. Den Ungarn-Aufstand und die Massenstreiks in Polen 1956 verfolgt er gebannt am Radioapparat.

Als "Arbeiterkind", die Mutter ist Putzfrau, darf er zur Oberschule. Als er im Abituraufsatz das Thema frei wählen kann, entscheidet er sich, über "den Tod" zu schreiben - und schreibt über Walter Ulbricht und das Ende der DDR. Folge: Der Par-teisekretär läßt die gesamte Oberstufe in der Aula antreten. Von Rabehl wird Selbstkritik erwartet. Aber statt zu widerrufen, spricht er der DDR erneut jede Zukunft ab. Entsetztes Schweigen. Doch die Strafe fällt vergleichsweise milde aus: Das Abitur wird ihm aberkannt, er muß die Klasse wiederholen und sich anschließend "in der Produktion bewähren". Dort trifft er auf die einstigen Streikführer des 17. Juni. Statt Geschichte darf er anschließend an der Berliner Humboldt-Universität nur Agronomie studieren. Nach vier Wochen wechselt er nach West-Berlin.

Der Mauerbau 1961 empört den Grenzgänger. Zahlreiche Jugendliche, darunter auch Rudi Dutschke, den er damals noch nicht kannte, ziehen zur Mauer und protestieren. Als sie schließlich mit einem Abrißhaken versuchen, die Mauer zum Einsturz zu bringen, fährt amerikanische Militärpolizei vor und vertreibt die jungen Demonstranten.

Im Herbst 1961 beginnt Rabehl ein Studium der Soziologie, Philosophie und osteuropäischen Geschichte an der FU Berlin. Zu seinen Lehrern zählen dissidente Kommunisten wie Otto Stammer, und schon bald geraten er und Rudi Dutschke in Kontakt mit der Subversiven Aktion um Dieter Kunzelmann. Deren Ziel war es, durch gezielte Provokation den vermeintlich autoritären und undemokratischen Charakter von Staat und Gesellschaft zu entlarven. 1965 tritt die Gruppe in den SDS ein und ist schon bald stärkste Fraktion; 1967/68 gehört Rabehl dem SDS-Bundesvorstand an.

Nach dem Attentat auf Dutschke im April 1968 versucht Rabehl noch, die Bewegung im Sinne von Dutschke aufrechtzuerhalten. Doch er scheitert. Die APO zerfällt in Sekten und Splittergruppen und militarisiert sich zum Teil. Rabehl selbst tritt die akademische Laufbahn an.

Als 1998 nach dreißig Jahren ehemalige SDSler auf einem Symposium ihren Weg "mit Notwendigkeit" in der sozialliberalen Koalition münden sehen, begibt sich Rabehl erneut auf Abwege und beginnt, über die Bedeutung der "nationalrevolutionären" Dimension von '68 zu sprechen, die insbesondere ihn und Dutschke angetrieben habe. Er tut dies vor der Burschenschaft Danubia - es ist der Schritt in die endgültige Dissidenz, so konsequent wie unverstanden. Ein Renegat war er nie, vielleicht ein praktischer Dialektiker. Noch diese Rede und das meiste seither steht in der Tradition der Subversiven Aktion. Aber heute entlarven sich nicht die Gegner von einst, sondern die einstigen "Genossen". Am 30. Juli wird Bernd Rabehl siebzig.

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