© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Heuschreckenplage
Medien: Bei der krisengeschüttelten "Berliner Zeitung" geht es drunter und drüber
Thorsten Thaler

Was für ein Abstieg. Einst wollte der damalige Herausgeber der Berliner Zeitung, Erich Böhme, das frühere SED-Zentralorgan zur deutschen Washington Post machen. Das war im November 1990, seither hat die Berliner Zeitung einige Herausgeber und einige Chefredakteure erlebt, namhafte Redakteure sind zu ihr gewechselt und wieder fortgegangen, ambitionierte Autoren, die das Blatt prägten und es tatsächlich ein paar Jährchen lang zur von vielen Kollegen zitierten führenden deutschen Hauptstadtzeitung machten. Und heute? Heute wirkt die Berliner Zeitung heruntergewirtschaftet, ausgezehrt, abgewrackt.

Die jetzt sichtbar werdenden Auswirkungen der im Herbst 2005 erfolgten Übernahme der Zeitung durch den britischen Finanzinvestor David Montgomery (59), der dem Blatt einen rigiden Sparkurs zur Erfüllung seiner Rendite-Erwartungen verordnete, sowie selbstverschuldete Krisen durch die Enttarnung leitender Redakteure als ehemalige Informelle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit in diesem Frühjahr haben der Berliner Zeitung schwer zugesetzt. Stapelweise Abokündigungen, Etatkürzungen und Stellenreduzierungen, ein Chefredakteur, der zugleich als Verlagsgeschäftsführer auch Sparkommissar ist, wogegen die Redaktion erfolglos klagte, Redakteure, die freiwillig-unfreiwillig von Bord gehen, während die (noch) Dableibenden freimütig über die "renditeorientierte Geschäftspolitik" klagen und um ihren Arbeitsplatz bangen, dazu die anhaltende Verunsicherung über den Umgang mit den Stasi-Verstrickten (gerade hat ein "Ehrenrat" festgestellt, ihre Weiterbeschäftigung sei möglich; die Entscheidung darüber trifft die Chefredaktion) - bei der Berliner Zeitung ist man derzeit alles andere als vergnügungssteuerpflichtig.

Von einer deutschen Washington Post ist jedenfalls schon lange keine Rede mehr. Zu allem Überfluß wurde nun auch noch das Medienressort gestrichen, die Medienberichterstattung an externe Dienstleister ausgelagert, die zwei Medienredakteure anderen Ressorts zugeteilt. So sieht es eben aus, wenn gemeine Finanzheuschrecken über einen herfallen. Zurück bleiben die gröbsten Verwüstungen.

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