© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Raubkunst aus fernen Landen
Streifzug durch London: Die Metropole an der Themse beheimatet eine Vielzahl von Museen
Karlheinz Weissmann

Theodor Fontane, der einige Zeit als Korrespondent in London verbrachte, urteilte je länger je schärfer über die Engländer. Sie seien, "mit all ihren stolzen Eigenschaften, die ich nie bestreite, ... ein Räuber- und Piratenvolk durch und durch". Das bezog sich auf die Methoden des Hochimperialismus und die brutale Ausbeutung der Kolonien, aber auch darauf, daß London schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Glanz entfaltete, der nicht nur seiner Stellung als Handels- und Bankenmetropole geschuldet war, sondern auch der Menge an Beute, die man aus allen Winkeln der Welt herbeigeschafft hatte.

Die "Elgin Marbles" - die von Lord Elgin zu Anfang des 18. Jahrhunderts illegal nach London verbrachten Figuren vom Parthenon der Akropolis in Athen - sind ein Beispiel dafür, allerdings kein typisches, denn es handelt sich nicht um Gegenstände, deren materieller Wert den Ausschlag gab, sondern um Kunstwerke, die ein ebenso feinsinniger wie verschlagener Mann entführte. Und wenn die "Schönen" heute zusammen mit so außerordentlich vielen anderen Stücken aller Kontinente und Zeiten im Britischen Museum zu bewundern sind, dann auch deshalb, weil die Parthenon-Skulpturen hier sorgsam konserviert und aufbewahrt, einer gebildeten und erzogenen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurden. Eine Garantie, die man in ihrer Heimat Griechenland so wenig für gegeben halten kann wie in Ägypten oder den Staaten des Vorderen Orients, deren Gebiet bevorzugte Felder für die britische Beschaffung von Beutekunst waren.

Während das Britische Museum heute nur noch wenig zu tun hat mit dem älteren Charakter musealer "Sammlung", befindet sich das Victoria and Albert Museum gerade erst in der Phase der Transformation. Generationen von Museumsdirektoren sind an dem Versuch gescheitert, etwas mehr Ordnung oder eine grundsätzliche Systematik in das Durcheinander von Beständen zu bringen, die oft durch Schenkung an das Haus kamen und deshalb von der Archäologie bis zum Kunstgewerbe, von Alltagsgegenständen fremder Kulturen bis zu einer riesigen Zahl von Plastiken alles mögliche enthalten. Mit dem großen Umbau, der bis zum nächsten Jahr abgeschlossen sein soll, will man jetzt eine gewisse Linie in das Ganze bringen, ohne der Entwicklung des Museums Gewalt anzutun. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Verglichen mit dem Victoria and Albert wirken die National Gallery und die National Portrait Gallery, die heute faktisch eine Einheit bilden, sehr gut organisiert und bieten dem Besucher einen Querschnitt durch die europäische Malerei auf hohem und höchstem Niveau. Man findet hier auch berühmte Werke deutscher Meister wie Dürer, Cranach und Altdorfer. Demgegenüber konzentriert sich die Tate Britain auf britische Maler, wobei man ein besonderes Augenmerk auf William Turner richtet, dem ein ganzer Flügel des weitläufigen Baus gewidmet ist.

Im Augenblick sollte man aber vor allem die Gelegenheit ergreifen, eines der Hauptwerke der Präraffaeliten - Edward Burne-Jones "The Last Sleep of Arthur in Avalon" - zu bewundern. Das großformatige Bild (2,80 mal 6,50 Meter) stellt eine Schlüsselszene des Artus-Mythos dar: den Schlaf des gefallenen und dann von den Feen nach Avalon entführten Artus, der auf seine Wiederkehr wartet, wenn Britannien in Not ist. Durch die Präraffaeliten haben die Sagen um Artus und die Ritter der Tafelrunde eine bis heute verbindliche Form erhalten. Das Bild von Burne-Jones hängt sonst in Ponce/Puerto Rico, wohin es in einer Zeit der Geringschätzung der Präraffaeliten verkauft worden war und im nächsten Jahr zurückgegeben wird.

Wer dann noch das Bedürfnis hat, sich auch einen Eindruck von der avantgardistischen Moderne zu machen, kann von der Tate bequem mit dem Schiff über die Themse zur Tate Modern fahren, die bezeichnenderweise in einem ehemaligen Kraftwerk - dem fensterlosen Backsteinbau der ehemaligen Bankside Power Station - eingerichtet wurde und direkt gegenüber der St. Paul's Kathedrale liegt.

Zu den Besonderheiten der Londoner Museumslandschaft gehört ohne Zweifel das Imperial War Museum, das die größte Sammlung militärischer Gegenstände weltweit beherbergen soll. Während man es früher mit einer Ausstellung zu tun hatte, die ganz dem Zweck eines solchen Museums entsprach - der Präsentation von Stücken zur Kriegsgeschichte Großbritanniens und seiner Gegner -, hat es hier unter dem Druck der Maßgaben "Politischer Korrektheit" eine ganze Reihe von Veränderungen gegeben. So mußte der Ausstellungsteil über den Zweiten Weltkrieg um eine große "Holocaust"-Abteilung ergänzt werden, und in unregelmäßigen Abständen sieht sich der Besucher durch Hinweise belästigt, daß das Zeigen der großen und kleinen Waffen, Uniformen, Fahnen und sonstigen Gegenstände des Militärlebens eigentlich der Vermittlung pazifistischer Einstellungen diene. Es sei der Gerechtigkeit halber hinzugefügt, daß diese pädagogischen Bemühungen bei den Besuchern, vor allem den männlichen, kaum irgendwelche Wirkung zeigen.

Anders als in Frankreich, das bis dato für den Eintritt in seine Museen hohe Preise verlangt, ist der Zugang zu den Londoner Museen grundsätzlich frei. Das hat weniger mit Touristenfreundlichkeit zu tun - der Reisende wird sonst bei jeder Gelegenheit auf hohem Preisniveau geschröpft -, sondern ist als Anreiz für die eigene Bevölkerung gedacht, sich mit der Überlieferung des Landes zu befassen. Der Erfolg ist mäßig, muß man sagen, und wird vielleicht hinzufügen: glücklicherweise. Denn der Genuß des hier in einmaliger Konzentration zusammengetragenen Kulturguts wird schon wesentlich gemindert durch Horden von Schulkindern, die zwar mehr oder weniger adrett in Uniformen gekleidet sind, aber offenbar keine Disziplin kennen. Nicht auszudenken, wenn die Zahl mehr oder weniger lustloser Besucher noch weiter anwüchse.

Abbildung: Edward Burne-Jones, The Last Sleep of Arthur in Avalon (Ausschnitt, Öl auf Leinwand, 1881-1898): Schlüsselszene des Artus-Mythos

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