© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Schweriner Weggefährten
Mecklenburg-Vorpommern: Ein Sammelband widmet sich der parteiübergreifenden Ausgrenzungsstrategie gegenüber der NPD-Fraktion
Doris Neujahr

Für den SPD-Politiker Carlo Schmid war die parlamentarische Opposition der "andere Beweger in der Politik". In Mecklenburg-Vorpommern ist sie - wenn man die Berichterstattung beim Wort nehmen darf - seit den Landtagswahlen 2006 sogar der einzige. Sie umfaßt ganze sechs Abgeordnete der NPD, denen 65 Abgeordnete aus SPD, CDU, Linken und FDP gegenüberstehen. Diese sprechen, wie SPD-Fraktionschef Volker Schlotmann im vorliegenden Sammelband schreibt, zur NPD "mit einer Stimme". Er nennt das den "Schweriner Weg", der sogar in einer "Gemeinsamen Erklärung" fixiert wurde. Nebenbei: Diese informelle Koalition entspricht exakt der "Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien" aus KPD, SPD, CDU und Liberalen - auch "Antifa-Block" genannt -, die sich am 14. Juli 1945 in der sowjetischen Besatzungszone unter Anleitung der russischen Befehlsgeber konstituierte. Der Unterschied liegt darin, daß damals der gemeinsame Feind, die NSDAP, verboten war, während die NPD zum Ärger der Schweriner Weggefährten noch immer legal ist.

Das vorliegende Buch will eine vorläufige Bilanz nationaldemokratischer Landtagsarbeit ziehen und zugleich die außerparlamentarischen Aktivitäten betrachten. Zu den Herausgebern und Autoren gehören der SPD-Landesvorsitzende, sein Stellvertreter, der SPD-Fraktionschef im Landtag, ein Juso-Funktionär, drei Journalisten, die sich auf den Rechtsextremismus kapriziert haben, sowie zwei Politikwissenschaftler der Universität Rostock. Kann man bei soviel politischer Festlegung ein Mindestmaß an Objektivität erwarten?

Fraktionschef und Mitherausgeber Volker Schlotmann räumt ein, die NPD habe gewiß nicht deshalb 7,3 Prozent der Stimmen erhalten, "weil alle alles richtig gemacht haben". Zugleich versucht er den Eindruck zu widerlegen, daß die vier "demokratischen Fraktionen" durch Geschäftsordnungstricks die Arbeit der NPD behinderten und damit selber die Sabotage demokratischer Spielregeln betrieben, die sie der NPD vorwerfen. Es zeugt von einer Binnenvielfalt des Buches, daß der Journalist Toralf Staud diesen Eindruck tendenziell bestätigt. Die Kürzung der Gelder für die kleinen Fraktionen sei ganz klar gegen die NPD gerichtet gewesen, denn die davon ebenfalls betroffene FDP-Fraktion wurde im Gegenzug mit einem zusätzlichen Vizeposten im Landtagspräsidium entschädigt. Auch würden verbale Entgleisungen der NPD viel strenger gerügt als die der anderen Fraktionen. Der NPD sei die Redezeit beschnitten worden und sie dürfe keine Ausschußvorsitzenden stellen.

Das sind Ausgrenzungssignale, die auch außerhalb des Parlaments verstanden werden. Der Rostocker Juso-Vorsitzende Julian Barlen zeichnet die Details eines monatelangen, recht einseitig geführten Kleinkriegs gegen ein "rechtes" Bekleidungs- und Musikgeschäft in Rostock nach und zählt auf: Mahnwachen, Demonstrationen, Infostände, Straßen- und Kinderfeste, Rap- und Techno-Konzerte, Sachbeschädigungen, Psychoterror, etwa sogenannte "Flashmobs" - plötzliche, sich nach kurzer Zeit wieder zerstreuende Menschenaufläufe, die über Handykontakte organisiert werden -, schließlich einen Buttersäureanschlag inklusive Körperverletzung. Das entsprechende Kapitel ist überschrieben: "Höhepunkt und Katharsis durch die Feuerwehr". Einen Anlaß zur Selbstreflexion und -kritik sieht der Autor nicht. Genausowenig wird der Aufwand gegen das Geschäft begründet. Zuvor hatte es einen ähnlichen Laden in Rostock gegeben, der mangels Kundschaft ganz normal pleite gegangen war. Offensichtlich wird ein klares, handgreifliches Feindobjekt benötigt, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren und ein politisches und mentales Sinnvakuum zu füllen.

Was Barlen "zivilgesellschaftliches Engagement" nennt, entlarvt sich hier als eine Reproduktion der SA-Mentalität, wie Sebastian Haffner sie für die Zeit nach der Machtergreifung beschrieben hat: Die Gewalt wird ohne Erregung und Spontaneität und auch nicht als Reaktion auf selbsterfahrene Gewalt ausgeübt, sondern planvoll, ohne eigene Gefährdung und aus überlegener Position heraus. Der Unterstützung durch Medien, Parteien und Organisationen, mit denen man gut vernetzt ist, kann man sicher sein, und letztlich auch der des Staates, der alles "Rechte" mehr oder weniger zum Abschuß freigegeben hat.

Die zwei gehaltvollsten Aufsätze stammen vom Mitherausgeber Mathias Brodkorb, Mitglied des Landtags und stellvertretender Parteivorsitzender. Im Januar dieses Jahres war der 31 Jahre alte Philosophie- und Gräzistik-Absolvent in dieser Zeitung als ehrgeiziger Berufspolitiker ohne geistige und moralische Qualitäten abgekanzelt worden, was jedoch auf einer vorläufigen, schnell widerlegten Wahrnehmung beruhte. In diesem Sammelband jedenfalls sind Brodkorbs Beiträge von analytischem Anspruch und Fairneß getragen. Er räumt ein, daß die Auseinandersetzung mit der NPD bloß schematisch, kaum inhaltlich erfolge. Er konzediert der Partei eine Binnenpluralität und meint, daß die behauptete Identität von NSDAP und NPD so nicht existiere. In der Ausländerpolitik argumentiere die Partei mehr ethnopluralistisch als biologistisch und greife postmoderne Theoreme auf. Nicht von Adolf Hitler, sondern von Henning Eichberg und Alain de Benoist sei sie inspiriert, denen es darum ginge, die Eigenheiten der Völker gegen den egalisierenden Druck des global agierenden Kapitals zu schützen.

Mit der etwas kruden These vom "kulturalistischen Rassismus" versucht Brodkorb, ein intelligenteres Instrument gegen die NPD zu kreieren, wobei er "Rassismus" als "eine rational nicht zu begründende Ausgrenzung von Menschen anhand tatsächlicher oder fiktiver Gruppenmerksmale" definiert. Der Begriff "Ausgrenzung" ist politisch konnotiert, man sollte daher besser von Unterscheidung sprechen. Eine Unterscheidung zwischen Staatsbürgern und Nichtstaatsbürgern, wenn es um die Gewährung politischer und sozialer Rechte geht, ist aber nicht "rassistisch", sondern eine rationale, notwendige Angelegenheit, solange kein Weltstaat existiert.

Die NPD, so Brodkorb unter Hinweis auf das jüngste Buch von Götz Kubitschek, befolge im Landtag das Prinzip der "Provokation", wobei sie auf die Neigung der Medien zur Personalisierung und Skandalisierung spekuliere. Allerdings nutzten die Effekte sich schnell ab. Als Fraktionschef Udo Pastörs den Begriff "Bombenholocaust" seines Dresdner Kollegen Jürgen Gansel wiederholte, blieb er ohne vergleichbare Wirkung. Den Politiker kann auch Brodkorb nicht verleugnen. Die überraschend angesetzte Gedenkminute für NS-Opfer, mit der die Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD) die NPD-Fraktion überrumpelte, nennt er einen "strategisch klugen Schachzug" und goutiert damit die Funktionalisierung der NS-Opfer für das politische Tagesgeschäft. Im Aufsatz "Globalisierung als Angriff auf die Volksgemeinschaft" bezweifelt er, daß die antimaterialistische Argumentation der NPD den Interessen ihrer Wählerschaft, die ein Mehr an Konsummöglichkeiten anstrebt, tatsächlich entspricht. Damit bietet Brodkorb eine Basis für eine rationale, politische Auseinandersetzung mit der Partei. Aber geht es darum überhaupt?

Der Beitrag von SPD-Chef Erwin Sellering, als Sozialminister verantwortlich für den "Kampf gegen Rechts", besitzt politisch am meisten Gewicht. Sellering ist auch als Nachfolger von Ministerpräsident Harald Ringsdorf (SPD) im Gespräch. Sein Aufsatz macht deutlich, daß die NPD den Vorwand für eine umfassende Kampagne liefert, um in Mecklenburg-Vorpommern ein Ideologiesystem und Gesellschaftsmodell in den Rang der Unhinterfragbarkeit zu heben. Der Text ist in einem drohenden Bürokraten-Deutsch verfaßt. Die "demokratische Zivilgesellschaft", von der viel die Rede ist, wird nicht vom Demos nach seinen Interessen und Vorstellungen geschaffen, sondern sie wird diesem oktroyiert. Erst danach wird er "einbezogen", darf er "mitgestalten", sich "einmischen" und einbringen in eine "beteiligungsorientierte Kultur" und was der Leerformeln mehr sind. Sie bilden das Gegenstück zur DDR-Losung: "Arbeite mit, plane mit, regiere mit!"

Es ist beunruhigend, daß diese "Zivilgesellschaft" kein faßbares, normatives Gehäuse darstellt, sondern sich in Abgrenzung von Feindbeschreibungen - "Rechtsextremismus", "Antisemitismus", "Fremdenfeindlichkeit" - definiert, die beliebig sind und je nach Bedarf ausgeweitet werden können. Damit werden Staat und Gesellschaft zu Funktionen einer Herrschaftsideologie, die sich den wandelnden Legitimationsbedürfnissen ihrer Träger anpaßt. Aktuell geht es um die Abrichtung junger Menschen zum instinktiv ideologiekonformen Verhalten. Dazu sollen Aktionen wie "Erfolg braucht Vielfalt", der "Kampf gegen Rechts" als "fächerübergreifende Projektarbeit", die "Demokratieerziehung für Kleinkinder" oder das "interkulturelle Lernen" dienen.

Einen derart totalen Zugriff auf die Bewußtseinsbildung des Individuums wagte nicht einmal DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker (SED) öffentlich zu proklamieren. Politisch-strategisch geht es darum, die neuen Bundesländer den westdeutschen mental anzugleichen, damit sie kein Gegenmodell zur multikulturellen Gesellschaft ausformen können, die sich im Westen verwirklicht. Diese soll als natürliche, alternativlose Gegebenheit in das allgemeine Bewußtsein gepflanzt werden, um zu verhindern, daß ihre Konflikte und Verwerfungen Debatten über die Verantwortlichen oder über Alternativen auslösen. "Um die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu fördern", werden 400.000 Euro pro Jahr für Klassenfahrten in Konzentrationslager bereitgestellt. Die "eigene (National-)Geschichte" wird also durch Konzentrationslager symbolisiert!

Die NPD ist demgegenüber unbedeutend und nur der virtuelle Beweger dieser Politik. Wer ist dann der wirkliche? Die Antwort muß man außerhalb des Buches suchen.

Mathias Brodkorb, Volker Schlotmann (Hrsg.): "Provokation als Prinzip". Die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Adebor Verlag, Schwerin 2008, broschiert, 254 Seiten, Abbildungen, 13,90 Euro

Foto: Demonstration gegen die NPD vor dem Schweriner Schloß, dem Sitz des Landtages: "Beteiligungsorientierte Kultur"

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