© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Zäher Kampf ums Überleben
Lebensschutz: Da sich die Koalition nicht auf eine Verschärfung der Spätabtreibung einigen konnte, will die Union nun einen fraktionsübergreifenden Antrag vorlegen
Anni Mursula

Elf Jahre ist es nun her, seit Tim geboren wurde. An jenem Tag im Juli 1997 sollte der als "Oldenburger Baby" bekannt gewordene Junge in der 25. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden (JF 28/07). Doch Tim kämpfte um sein Leben, stundenlang - und gewann diesen Kampf auch schließlich. Als Grund für die Abtreibung hatte seine Mutter lediglich angegeben, sie komme mit dem diagnostizierten Down-Syndrom ihres Kindes psychisch nicht zurecht. Ein Argument, das hierzulande immer noch ausreichend ist, um ein Ungeborenes nach der sogenannten medizinischen Indikation bis zum Einsetzen der Wehen in der vierzigsten Schwangerschaftswoche zu töten.

Daß eine Spätabtreibung, also das Töten von überlebensfähigen Kindern nach der 22. Schwangerschaftswoche, ethisch höchst problematisch ist und die Regelungen deshalb dringend verschärft werden müssen, darüber sind sich Kirchen, Bundesärztekammer und Bundesverfassungsgericht seit Jahren einig. Und seit dem Bekanntwerden des Skandals um Tims Geburt ist auch der öffentliche Druck für eine Änderung des Spätabtreibungsgesetzes gewachsen. Denn obwohl diese späten Abbrüche - im Vergleich zu den Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche - sehr selten sind (etwa zweihundert im Jahr), provozieren gerade sie eine ethische Debatte. Schließlich geht es dabei um das Lebensrecht von behinderten und kranken Menschen. Doch dessen ungeachtet vergehen die Jahre ohne Lösung. Und das, obwohl CDU und SPD eine "Überprüfung" der entsprechenden Paragraphen in ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten. Doch die Parteien blockieren sich gegenseitig, bis heute.

Und so gibt es auch im jüngsten Ringen um das Abtreibungsgesetz zwischen Union und SPD bislang kein Ergebnis. Die CDU fordert die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, nicht aber des ganzen Abtreibungsparagraphen 218 im Strafgesetzbuch, der seit 1995 in Kraft ist. "Es ist ein Hilfsangebot für Frauen in einer schwierige Lage, keine zusätzliche Beschwernis", erklärte der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion Johannes Singhammer den Antrag in der Welt. "Wir wollen nicht strafen, sondern Leben schützen." Der Unionsvorschlag verpflichtet den behandelnden Arzt, eine Schwangere, die ein behindertes Kind nach der 22. Schwangerschaftswoche abtreiben will, gründlich zu beraten.

Sie soll über die Methoden und Risiken sowie über mögliche physische und psychische Folgen eines Abbruchs informiert und über das Leben mit einem behinderten Kind aufgeklärt werden.

Mißachtet der Arzt diese Vorschriften, ist ein Bußgeld von bis zu zehntausend Euro vorgesehen. Zudem will die Union eine Bedenkzeit von drei Tagen zwischen dem Befund und der Abtreibung einführen. Momentan gibt es bei einer Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche weder eine Beratungspflicht noch eine obligatorische Bedenkzeit für die Eltern. Dies ist auch ein Grund dafür, daß sich viele Eltern aus Panik für eine Abtreibung entscheiden, wenn sie erfahren, daß ihr Kind behindert ist.

Doch obwohl den Sozialdemokraten die Lücken in der aktuellen Gesetzgebung ebenfalls bekannt sind, lehnen sie den Änderungsvorschlag der Union ab. Sie wollen keine Modifikation des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, da sie fürchten, die Grundsatzdebatte um den gesamten Abtreibungsparagraphen 218 könne wieder aufbrechen. Und so zogen sie es vor, den Entwurf ihres Koalitionspartners lieber als bloße "Symbolpolitik im bayerischen Landtagswahlkampf" zu kritisieren, anstatt sich um eine Kompromißlösung zu bemühen. SPD-Fraktionsvize Christel Humme und die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion, Caren Marks, sagten lediglich, daß ihre Partei "für eine bessere Information und Beratung der Frauen generell während der Schwangerschaft sorgen" wolle. Dafür sei allerdings eine geplante Verbesserung im Gendiagnostikgesetz ausreichend. Durch diese Änderung würden die Ärzte verpflichtet, Schwangere bereits vor der Pränataldiagnostik zu beraten. Der Vorschlag aber war für die Union wiederum "unzureichend". Doch während die Politik sich Zeit läßt, werden jedes Jahr zweihundert (Lebensschützer gehen sogar von jährlich achthundert aus) überlebensfähige Kinder im Mutterleib getötet. Und ihre Zahl steigt - seit 1996 sogar um 15,1 Prozent.

Damit bleibt zu hoffen, daß die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten beim nächsten Versuch einer Gesetzesänderung über ihren parteipolitischen Schatten springen können: Die Union kündigte nämlich an, nach der Sommerpause einen entsprechenden fraktionsübergreifenden Gruppenantrag in den Bundestag einbringen zu wollen.

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