© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Kolumne
Postkarte aus der Schweiz
Thor Kunkel

Die positive Ummünzung des Klimawandels ist nun auch in der Schweiz angesagt. Hier am Großen Aletschgletscher, dem sanft abschmelzenden arktischen Mittelpunkt Europas, erlebt man fast täglich, wie abgeklärt die Bewohner der umliegenden Alpen das offenbar unvermeidliche Schwinden ihres Sicher-Brot-Gletschers besprechen. Vorbei die Zeit der Panikmache, die sich noch in einem 3-D-Wackelbild im Touristenbüro Riederalp manifestiert: Hier genügt ein einziger Blick, um das dramatische Schrumpfen des Eisriesen (seit 1900 um mehr als zweihundert Meter) zu sehen.

Inzwischen scheint es so, als hätten sich die Schweizer etwas von der Einstellung des Jeans-Herstellers Diesel zu eigen gemacht, der schon letztes Jahr Papageien - und keine Tauben - auf dem Petersplatz zeigte. Der ungeschminkte Positivismus, in Treibhaus-Effekt und "Global Warming" eine neue Chance zu sehen, steckt an.

"Wir freuen uns über neue Einnahmequellen", sagt mir ein Manager der UBS-Filiale Bettmeralp, "the better alp", wie sie neuerdings heißt. "Wenn das Eis nicht mehr trägt, spielt der zahlende Gascht eben Golf." Der höchste Golfplatz der Alpen liegt direkt vor der Tür. "Auch der Trend zum Mountainbike ist für uns ein Gewinn." Damit sind Leihgebühren und Versicherungen gemeint.

Schon jetzt wird der stille Wanderer von Wagehälsen auf Rädern terrorisiert, die ihn - in Rudeln organisiert und ausstaffiert wie Gladiatoren - an Engpässen überflügeln. Der Spaß, auf die Schnauze zu fallen, er muß grenzenlos sein. Der Abtransport ist übrigens weniger aufwendig und teuer als eine Spaltenrettung vom Heli. Ein Hochtourenführer freut sich noch auf andere Kundschaft: "Wenn das Wetter wärmer wird, dann kommen auch mehr Inder und Afrikaner." Tatsächlich sind mir in den letzten Wochen mehr farbige Wanderer im Wallis begegnet als in den fünfzehn Jahren davor. Aber meine Frau meint, die kämen alle aus Genf. Zumindest die vielen Drachenflieger und Gleitschirme, die wie bunte Konfettiflocken über der Fiescheralp schweben, verdanken ihren Aufwind der warmen Luft an den Hängen. Auch diese Gäschte sind dem Schweizer lieber als Wandervögel, die nicht mal ordentlich konsumieren.Wer aber zu den unverbesserlichen Alpinisten gehört, den zieht es auf den Buckel des Aletschji hinaus. Zwischen Märjelen-See und Konkordia-Hütte treten sich die Seilschaften heute fast auf die Füße. Torschlußpanik oder Dinosaurier "on the rocks"? Man wird sehen.

 

Thor Kunkel ist Schriftsteller und unter anderem Autor des Bestsellerromans "Endstufe".

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