© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Wütende Bürger
Steigende Preise: Die Geldentwertung untergräbt die Demokratie
Michael Paulwitz

Inflation. Bei diesem Schreckenswort läuft es nicht nur den älteren Generationen eiskalt den Rücken herunter. Inflation, das heißt: Das Geld in der Tasche wird immer weniger wert, der Lebensstandard sinkt, weil viele Dinge unerschwinglich werden, das mühsam ersparte Vermögen zerrinnt unter den Händen. Freuen können sich da nur Spekulanten und Schuldner, die den Geldwertverfall geschickt zur Entwertung ihrer Verbindlichkeiten nutzen können. Inflation bedeutet immer auch - der Staat läßt sein Defizit vom Vermögen der Bürger begleichen.

Zugegeben: Eine galoppierende Inflation, wie sie Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg erlebte, als der faktische Staatsbankrott durch die Massenenteignung der Lohnempfänger, Sparer und Anleger beglichen wurde, herrscht derzeit weder in Deutschland noch in Europa. Doch die zweimal durchlebte Volksverarmung durch Geldentwertung hat die Deutschen mißtrauisch gemacht.

3,3 Prozent Inflation im Juni kling harmlos, doch es ist der höchste Stand seit vierzehn Jahren. Für Otto Normalverbraucher an der Zapfsäule oder an der Supermarktkasse sieht die Lage ohnehin anders aus als in den luftigen Hochhausfluchten der Statistiker. Dort pflegt man die Gesamtschau auf Waren, Produkte und Dienstleistungen und sieht die Inflation durch den Preisverfall bei tragbaren Heimrechnern, Flachbildschirmfernsehern oder Pauschalreisen gedämpft. Dumm für den, der sich das alles gar nicht mehr leisten kann, weil er bei explodierenden Energie- und Lebensmittelpreisen nur eben so über die Runden kommt. Die "wahrgenommene Inflation", die beim täglichen Konsum mit dem frei verfügbaren Teil des Einkommens fühlbar wird, liegt jedenfalls nach nichtamtlichen Berechnungen eher bei zwölf Prozent.

Noch gravierender als die unmittelbaren sind die Langzeitfolgen der Geldentwertung. Sie frißt mit den Geldvermögen auch die Altersrücklagen und Rentenansprüche der Bürger schleichend auf. Was heute nach einer schönen Rente klingt, kann nach zwanzig Jahren mit drei oder vier Prozent Inflation nur noch ein Almosen wert sein. Inflation schafft Altersarmut - das war stets ein Hauptargument für Geldwertstabilität.

Der Hinweis, daß die Inflation Anfang der Siebziger, wiederum in erster Linie durch den Ölpreis induziert, sogar noch schlimmer war und Werte bis zu sieben Prozent erreichte, ist da ein schwacher Trost. Zudem war damals noch allein die Deutsche Bundesbank verantwortlich für die Geldpolitik in Deutschland. Und die Währungshüter der Deutschen Mark verstanden es, besonnen den Weg aus der Lohn-Preis-Spirale zu weisen.

An der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gibt es zwar, abgesehen von wiederholter Kritik an zu zögerlichen Zins­erhöhungen, wenig auszusetzen - außer eben, daß sie von einer europäischen und nicht von einer nationalen Zentralbank gemacht wird. Das schließt mit ein, daß die deutsche Volkswirtschaft mit ihren immer noch beeindruckenden Leistungsüberschüssen für die Defizite aller anderen Währungsteilnehmer mit einstehen muß. Kaum zufällig ist die Inflation im gesamten Euro-Raum deutlich höher als in Deutschland. Die Frage, inwieweit der Euro selbst über die Mechanismen der Gemeinschaftswährung zum Preistreiber wird, ist also durchaus berechtigt.

Davon wollen Politiker, die den vibrierenden Unmut der Bürger spüren und reflexhaft Schnellschüsse abfeuern, freilich nicht gern etwas hören. Lieber versprechen sie wirkungslos verpuffende Schein-Entlastungen und verweisen im übrigen achselzuckend auf den "importierten" Charakter der Inflation: Die steigende Nachfrage der Chinesen und anderer Schwellenländer oder "Spekulanten" seien schuld an der Explosion der Preise.

Damit läßt sich das einbrechende Vertrauen der Bürger in die ehedem wohlstandstiftende soziale Marktwirtschaft und in die politische Klasse nicht wiederherstellen. Protestparteien von links und rechts dürfen sich freuen: Sie erreichen mit einfachen Umverteilungsversprechen die Wähler, die sich verdrossen vom kompetenzlosen Phrasenspiel der Regierenden abwenden, dort, wo ihr Schmerz am größten ist. Durch das bequeme Deuten auf übernationale und wenig greifbare Faktoren machen sich die politisch Verantwortlichen kleiner, als sie sind. Denn auch hinter der gegenwärtigen Teuerung steht konkretes Regierungshandeln. Die Preistreiberei auf den Ölmärkten ist ein Abbild der Dollar-Inflation, die unter anderem entstanden ist, weil die USA ihren eher verlorenen als gewonnenen Krieg im Irak über stete Geldmengenausweitung - früher hätte man gesagt: mit der Notenpresse - zu finanzieren versuchen.

Die Bundesbank als nationaler Währungshüter hätte wohl gewußt, wie einer solchen Herausforderung zu begegnen und die Geldstabilität als Grundlage von Demokratie und Wohlstand für alle zu verteidigen wäre. Diese Waffe haben deutsche Politiker freiwillig aus der Hand gelegt. Damit nicht genug, zieht in Deutschland die öffentliche Hand seit der Rekord-Steuererhöhung der Großen Koalition jährlich einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich ein, ohne Staatsdefizit und Gesamtverschuldung nennenswert zu reduzieren. Auch das bremst den Konsum und treibt die Preise. Es darf auf nationaler Ebene gehandelt werden, ohne auf höhere Mächte zu warten.

Abbildung: Und plötzlich taucht dann wieder dieser Spielmann auf, der mit einschlägigen Melodien rosige Zeiten verspricht

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