© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Der Beruf des Leihpilgers: Zertifikat mit Stempel von Santiago de Compostela
Auf käufliche Gnaden setzen
Daniel Körtel

Pilgerreisen und Wallfahrten sind feste Bestandteile christlicher Tradition, seit die heilige Helena - die Mutter des römischen Kaisers Konstantin des Großen - im vierten Jahrhundert Jerusalem besuchte. Viele andere Gläubige folgten ihr auf dem oftmals gefährlichen Weg nach. Neben dem Heiligen Land kamen im Laufe der Zeit noch weitere Stätten der Christenheit als Ziele hinzu. Die üblichen Motive der Pilger waren die Erfüllung eines Gelübdes, eine auferlegte Buße oder die Pilgerschaft als ein Dank- oder Fürbitteopfer. Zahlreiche Wunderheilungen werden mit ihr in Verbindung gebracht. Die Moderne und der Niedergang der Volksfrömmigkeit infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils brachten einen deutlichen Rückgang der Pilgerfahrten.

Doch seit einigen Jahren kehrt sich der Trend um, was sich literarisch in Erfolgsbüchern wie Paulo Coelhos "Auf dem Jakobsweg" oder Hape Kerkelings "Ich bin dann mal weg" niederschlägt. Pilgern wird wiederentdeckt als Mittel der Selbstfindung vor allem für Menschen, die eine Auszeit von der Tretmühle des Alltags suchen. Die Erfahrungen der bewußten Askese und eines neuen Zeitgefühls durch den zu Fuß zurückgelegten Weg bündeln sich zu einer neuen inneren Haltung, die einen auch über die Zeit der Pilgerschaft hinaus stärkt. Das spirituelle Erlebnis der Pilgerreise wird damit zusätzlich zu einer neuen Form der Psychotherapie aufgewertet.

So wie alle Trends treibt auch die Pilgerschaft seltsame Blüten hervor. In einer Dokumentation stellte kürzlich der Fernsehsender WDR 3 den Portugiesen Carlos Gil vor, einen Immobilienverkäufer, der dem Nebenberuf des Leihpilgers nachgeht.

Wer sich nicht in der Lage sieht, eine Pilgerreise anzutreten, kann sich an Gil wenden, der sich in einem solchen Fall als Stellvertreter auf den Weg macht. Der Kunde erhält nach Abschluß der Pilgerreise ein Zertifikat mit Stempel und Unterschrift vom Pilgerort. Die einzelnen Stationen läßt sich Gil amtlich beglaubigen oder vom Restaurant- und Ladenpersonal auf der Strecke bestätigen. Er wisse nicht, warum er das mache, aber er betreibe sein Geschäft mit Leidenschaft, erklärt Gil. Auch frage er die Kunden, die für diese Form des Seelenheils tief in die Tasche greifen müssen, nicht nach ihren Gründen. 25.000 Euro aufwärts betragen die happigen Preise für seine Dienste, abhängig von der jeweiligen Pilgertour.

Die Frage, wofür er das Geld verwendet, quittiert Gil mit einem verlegenen Lachen. In seinem Programm, das unter peregrino.org weltweit abrufbar ist, bietet er neben bedeutenden katholischen Wallfahrtsorten wie Fatima in Portugal und Santiago de Compostela in Spanien auch so exotische Ziele wie Machu Picchu in Peru und Muxima in Angola an. Seine Pilgerwege der "Meditation, Innerlichkeit, Dankbarkeit und Verehrung" absolviert er stilecht nur mit dem nötigsten ausgestattet.

Auch hierzulande gibt es ein vergleichbares Angebot. Auf einer sehr sparsam eingerichteten Internetseite (http://freenet-homepage.de/leihpilgern) bietet "ein religiöses und sozial engagiertes Paar" diskret seine "seriös" gemeinten Dienste an. Ganz wohl scheint ihm aber dabei nicht zu sein, denn die Identität des Anbieters bleibt ohne das obligatorische Impressum anonym. Der Kontakt erfolgt lediglich über eine Emailadresse. Ein Teil des nicht näher bezifferten Preises soll den Angaben zufolge immerhin einem guten Zweck zufließen.

Die katholische Kirche kann den Leihpilgern bislang nichts abgewinnen. Zum einen zitieren Kleriker den Jesuitentheologen Karl Rahner (1904-1984): "Mit sich selbst in Kontakt zu kommen, heißt Gott zu erfahren." Eine Pilgerschaft ist also nur dann sinnvoll, wenn man die mühevollen Strapazen der Reise selbst auf sich nimmt. Doch was Leihpilger wie Gil stattdessen betreiben, ist der kommerzielle Mißbrauch der Pilgergnaden für eigennützige Interessen, die mit Agape, der Tugend der christlichen Nächstenliebe, nichts mehr gemein haben.

Zum anderen ist die heutige Leihpilgerschaft der Wiedergänger eines historischen Vorbildes. Diese Praxis gab es bereits im Mittelalter und zog heftige Kritik von Reformatoren und Humanisten auf sich. Seit dem Konzil von Trient ist der Verkauf derartiger Sakramente - auch Simonie genannt - verboten und gilt als Verbrechen. Ein Zertifikat des Leihpilgers Gil dürfte daher ebensowenig heiligende und erlösende Wirksamkeit entfalten wie ein Ablaßbrief zur Sündenvergebung aus den Händen von Johann Tetzel.

Foto: Eisener Pilger vor dem Dom zu Speyer: Nicht ausleihbar

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