© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Kein Zeugnis einer Komplizenschaft
Vor 75 Jahren wurde das Reichskonkordat mit dem Vatikan unterzeichnet / Spätere aufgeregte Kritik ist weitgehend unbegründet
Alfred Schickel

Das laufende Jahr 2008 steht bekanntlich im 75jährigen Gedenken an die Ereignisse des Jahres 1933. Des Ermächtigungsgesetzes und der Bücherverbrennung hat man sich schon öffentlich erinnert. Nun steht als nächstes Gedenkdatum der 20. Juli 1933 an. An diesem Tag unterzeichneten der "Regierungschef" des Heiligen Stuhls, Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, und der Vizekanzler des Deutschen Reiches, Franz von Papen, in der Vatikanstadt das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich ("Concordato fra La Sante Sede ed il Reich Germanico"). Obwohl Latein als offizielle Kirchensprache gilt, ist die nichtdeutsche Fassung des Vortrags in Italienisch abgefaßt. Und selbstverständlich sind als die "Hohen vertragschließenden Teile" die jeweiligen Staatsoberhäupter genannt, also "Seine Heiligkeit, Papst Pius XI." und der "Präsident des Deutschen Reiches". Dies war am 20. Juli 1933 Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Eine Klarstellung, die notwendig erscheint, da manche Geschichtspolitiker das Konkordat hauptsächlich als Beleg für die angebliche Kollaboration der katholischen Kirche mit dem NS-Führer Adolf Hitler und seinem Regime hinstellen.

In deren Deutung ist das Konkordat "für die Nazis von größter Bedeutung gewesen, da es für Hitler Stabilisierung der Macht und Gewinnung von Reputation gegenüber dem Ausland gebracht" habe. Eine Behauptung, die besonders den auf vatikanischer Seite federführenden Kardinalstaatssekretär Pacelli, den späteren Papst Pius XII., treffen sollte, um auch seine in die Wege geleitete Seligsprechung zu "problematisieren". Besonders ein Passus gilt heutigen Kritikern als besonders verwerflich: "Pacelli gestand den Nazis ein 'Gebet für das Wohlergehen von Staat und Volk' zu, vor allem aber garantierte er, daß katholische Geistliche sich jeder parteipolitischen Tätigkeit enthielten."

Verschwiegen wird, daß der Heilige Stuhl schon seit vielen Jahren ein Konkordat mit dem Deutschen Reich anstrebte, jedoch bei den amtierenden Reichsregierungen stets auf taube Ohren stieß. Selbst die von der katholischen Zentrumspartei gestellten Reichskanzler scheuten aus Sorge, des "Ultramontanismus" bezichtigt zu werden, Verhandlungen mit dem Papst. Hitler kam der Wunsch des Heiligen Stuhls nach einer völkerrechtlichen Regelung des Status der Kirche in Deutschland zupaß, zumal er mit dem Abschluß eines Konkordats auch gleichzeitig die Zustimmung der Zentrumspartei zum "Ermächtigungsgesetz" einhandeln konnte. Es war also keine auf den Reichskanzler Hitler ausgerichtete Kontaktaufnahme des Papstes, sondern die Verwirklichung einer von Rom schon längst gewünschten Vereinbarung. Im übrigen war das Reichskonkordat keineswegs das einzige Abkommen, das die NS-Regierung im Jahre 1933 abschloß; vielmehr unterzeichnete ihr Botschafter, Ulrich von Hassell, am 15. Juli 1933, also noch vor dem Abschluß des Konkordats, den Vertrag über den "Vierer-Pakt" zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Nicht unwichtig erschien im Ausland die Tatsache, daß mit Konstantin von Neurath das Deutsche Reich von einem Minister vertreten wurde, der bereits vor Hitlers Machtantritt das Auswärtige Amt geleitet hatte und keineswegs als Parteigänger der NSDAP galt - wie auch alle wichtigen Botschafterposten weiterhin von den bisherigen Inhabern wahrgenommen wurden.

Im Falle der Konkordatsverhandlungen hatte es Kardinalstaatssekretär Pacelli mit dem ehemaligen katholischen Zentrumsmann und einstigen Reichskanzler Franz von Papen zu tun. Immerhin nahm von Papen am 11. Juni 1933 demonstrativ am "Deutschen Gesellentag" der katholischen "Kolpingsbrüder" in München teil (JF 24/08), obwohl die Tagungsteilnehmer damals bereits von SA-Schlägertrupps belästigt und mißhandelt wurden und zum vorzeitigen Abbruch ihres Treffens gezwungen waren.

In einem ausführlichen persönlichen Gespräch, das der Verfasser dieser Zeilen nach dem Krieg mit Franz von Papen in München führen konnte, schilderte der 1959 zum päpstlichen Geheimkämmerer ernannte ehemalige Reichskanzler (der Weimarer Republik) seine alsbald eingetretenen Spannungen zum nationalsozialistischen System, die in seiner "Marburger Rede" im Juni 1934 ihren deutlichen Ausdruck fanden. Zugleich bestätigte er Eugenio Pacelli ein "hohes diplomatisches Verhandlungsgeschick, das mehr herausholte, als zu erwarten war", was ihn "als überzeugten Katholiken heimlich gefreut" habe: "Daß ich für den Inhalt mancher Artikel des Konkordats von Hitler später nicht sonderlich gelobt wurde, konnte ich ertragen."

Der immer wieder vorgebrachte Vorwurf an die Adresse des Heiligen Stuhls, er habe "schon zu Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland den Widerstand katholischer Intellektueller und Priester erschwert oder gar unmöglich gemacht", indem er im Artikel 32 des Konkordats versprach, den "Geistlichen und Ordensleuten die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien" zu untersagen, erweist sich bei näherem Hinsehen als wirklichkeitsfremd.

In Wahrheit hat man nämlich bei der Formulierung des sogenannten "Entpolitisierungsparagraphen" in Rom lange gerungen, bis man sich durch die Selbstauflösung der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei, an deren Spitze die Prälaten Ludwig Kaas und Georg Wohlmuth standen, von der innenpolitischen Entwicklung in Deutschland überrollt sah. Kardinalstaatssekretär Pacelli hat also in den Verhandlungen mit dem Deutschen Reich nichts aufgegegeben, was nicht schon politisch verloren war. Zudem hat der inkriminierte Artikel 32 die katholischen Geistlichen nicht stärker "neutralisiert" als es die Angehörigen der Reichswehr von jeher waren. Der "Entpolitisierungsparagraph" erwies sich letztlich sogar als Mittel des Widerstandes, als die Nationalsozialisten dazu übergingen, die Bischöfe zu Hirtenbriefen und Stellungnahmen "für den Abwehrkampf im Osten" aufzufordern und ihren Pressionsversuchen die Bestimmungen des Artikels 32 entgegengehalten werden konnten.

Und was die Kritiker mit dem "Gebet für das Wohlergehen von Staat und Volk" verfälschend ein "Zugeständnis an die Nazis" nennen, liest sich im Ton des Reichskonkordats dann wörtlich folgendermaßen: "Artikel 30. An den Sonntagen und gebotenen Feiertagen wird in den Bischofskirchen sowie in den Pfarrer-, Filial- und Klosterkirchen des Deutschen Reiches im Anschluß an den Hauptgottesdienst, entsprechend den Vorschriften der kirchlichen Liturgie, ein Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes eingelegt." Eine patriotische Geste, wie sie beispielsweise in den USA - auch ohne Konkordat - längst praktiziert wurde.

Die anderen 32 des insgesamt 34 Artikel umfassenden Reichskonkordats regeln eher unspektakuläre, aber gleichwohl nicht weniger wichtige Fragen zwischen Kirche und Staat. So wurde dem Heiligen Stuhl "volle Freiheit" im Verkehr mit den deutschen Bischöfen und dem katholischen Klerus zugesichert (Artikel 4), die "Ausübung der geistlichen Tätigkeit" unter den "Schutz des Staates" gestellt (Artikel 5), das Beichtgeheimnis auch vor Gericht anerkannt (Artikel 9), "der Gebrauch geistlicher Kleidung oder des Ordensgewandes" in den Schutzrang der militärischen Uniform gehoben (Artikel 10), der Kirche das "freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter" garantiert (Artikel 14), der katholische Religionsunterricht in allen Schulen als "ordentliches Lehrfach" anerkannt (Artikel 21), die "Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet" (Artikel 23), die Weiterexistenz religiöser Einrichtungen und Verbände zugesichert und die katholische Seelsorge in staatlichen Institutionen vereinbart (Artikel 31 und Artikel 28).

Wie man heute weiß, hat sich das NS-Regime kaum an die vereinbarten Zusicherungen gehalten, sondern fast alle aufgezählten Rechte der Kirche verletzt oder mißachtet. Davon zeugen die aufgelösten kirchlichen Vereine ebenso wie die zu Hunderten in "Schutzhaft" genommenen und in das Konzentrationslager Dachau verbrachten Geistlichen. Klösterliche Lehrkräfte verloren konkordatswidrig ebenso ihre Unterrichtserlaubnis wie die Bekenntnisschulen ihrer Ordensgemeinschaften alsbald aufgehoben wurden. Die Berufung des erklärten NS-Gegners, Bischof Konrad Graf von Preysing, auf den Bischofsstuhl von Berlin im Jahr 1935 konnte nur mit Mühe gegen den Widerstand der NS-Behörden durchgesetzt werden. Der amtierende Bischof der Rottenburger Diözese, Johannes Sproll, wurde gar seines Bistums verwiesen, wie auch der Dompropst von Berlin, Bernhard Lichtenberg, auf dem Transport in das KZ Dachau sein Leben ließ.

Der Theologe und Historiker Gerhard Senninger bietet in seinem verdienstvollen Buch "Glaubenszeugen oder Versager?" einen aufschlußreichen Überblick über das Ausmaß der im "Dritten Reich" stattgefundenen Glaubens- und Kirchenverfolgung und weist die verbreiteten Vorwürfe gegen die Kirche und ihre damaligen führenden Persönlichkeiten überzeugend in das Reich boshafter Fabeln. Nach ihren Unterschriften unter die beiden Fassungen des Konkordats unterzeichneten Kardinalstaatssekretär Pacelli und Vizekanzler von Papen noch einen "Geheimen Anhang", der ob seiner bislang kaum erfolgten Beachtung fast immer noch als "geheim" gelten könnte. Er enthält die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat "im Falle einer Umbildung des gegenwärtigen (1933) deutschen Wehrsystems im Sinne der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht". Danach waren in der Seelsorge und "in der Diözesanverwaltung" tätige Personen generell vom Wehrdienst befreit und die noch Studierenden oder vor "den höheren Weihen" stehenden Männer "im Falle einer allgemeinen Mobilisierung im Rahmen des Möglichen dem Sanitätsdienst zuzuteilen". Vereinbarungen, an die sich die deutsche Heeresleitung bzw. das Oberkommando der Wehrmacht weitgehend gehalten hat.

Ebenso fand die im "Geheimen Anhang" festgeschriebene Regelung Beachtung, die besagte: "Die übrigen Geistlichen treten, falls sie tauglich erklärt werden, in die Wehrmacht des Staates ein, um unter der kirchlichen Jurisdiktion des Armeebischofs sich der Seelsorge bei den Truppen zu widmen." Der "Katholische Feldbischof der Deutschen Wehrmacht" nahm übrigens den Rang eines Generals ein. Von 1938 bis 1945 bekleidete Franz Justus Rarkowski diesen Posten und unternahm beispielsweise 1944 mit Angehörigen der Wehrmacht eine Soldatenwallfahrt nach Lourdes. Eine religiöse Praxis, die im gleichen Jahr die Franzosen übernahmen und die heute auch der Militärbischof der Bundeswehr pflegt. Die letzte gelebte Traditionsverbindung zwischen der Wehrmacht und der Bundeswehr. Doch ist diese nicht die einzige und wesentliche Bestätigung für die Bedeutung des Reichskonkordates; vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht den vor 75 Jahren abgeschlossenen Vertrag für ein noch heute gültiges und verbindliches Dokument erklärt und nicht als Zeugnis einer Komplizenschaft des Vatikans mit Hitler gewertet - zu Recht.

Foto: Franz von Papen, Eugenio Pacelli, Rudolf Buttmann (von links sitzend) bei der Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 1933 in Rom: Vorwurf der Kollaboration des Vatikans mit dem NS-Staat

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen