© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Immer die gleichen Vorwürfe
Vom Paradies gelangweilt: Der Filmregisseur Paul Verhoeven wird siebzig
Werner Olles

Ich drehe Filme über Menschen und über die Art, wie sie miteinander umgehen." Dieser Leitsatz findet sich in allen Filmen Paul Verhoevens als zentrales Motiv wieder. Seiner Heimat, den Niederlanden, kehrte er den Rücken, nachdem er ein halbes Dutzend Filme gedreht hatte, die alle von Publikum und Kritik stiefmütterlich behandelt wurden: "Zu sexuell, zu dekadent, zu provokativ", lauteten die Vorwürfe. In den USA hingegen wurde "Turkish Delight" (Türkische Früchte, 1973) als bester Auslandsfilm für den Oscar nominiert und "The Fourth Man", (Der vierte Mann, 1983), eine visuelle Spielerei über Sinn und Schein, die mit morbid-erotischen und prätentiös-blasphemischen Motiven in vieldeutiger Spekulation mündet, von den Kritikern begeistert gefeiert.

So kam Paul Verhoeven 1985, ein cinematographisches Asyl suchend, als Flüchtling nach Amerika. Von den linken Kommissionsmitgliedern der niederländischen Filmförderung, von Frauenverbänden und Homosexuellenorganisationen buchstäblich aus seiner Heimat vertrieben, gelang ihm nur zwei Jahre später, 1987, mit dem optisch hervorragend gestalteten Thriller "RoboCop" der große Wurf. Der Film ist schlicht ein Meisterwerk. Die Geschichte des Cops Murphy (Peter Weller), der bereits an seinem ersten Arbeitstag in einem Detroiter Polizeirevier von einer Verbrecherbande grausam hingerichtet wird und später durch Wissenschaftler eines Großkonzerns, der die gesamte Stadtverwaltung in seinen Händen hat, als Cyborg reinkarniert wird, schildert eine düstere Zukunftsvision. Detroit ist zum Tummelplatz für Gesindel und Kriminelle aller Art geworden, die Spitzen der Gesellschaft sind korrupt und die Staatsorgane unfähig, mit der wachsenden Gewalt und Kriminalität fertigzuwerden. Der einzige wirkliche Mensch in dieser eiskalten Zukunftsgesellschaft ist Murphy, der in der Hülle des RoboCop nach seinem eigentlichen Selbst, nach seinem menschlichen Ich mit all seinen Träumen und Erinnerungen sucht.

Natürlich wurde auch "RoboCop" von manchen Kritikern als "Gewaltorgie" beschrieben. Verhoeven, der am 18. Juli 1938 in Amsterdam geboren wurde und zwei Doktorgrade in Mathematik und Physik besitzt, hat diese Kritik an seinen Filmen, die notorisch in den Vorwürfen der "Glorifizierung des Militarismus", der "Propagierung reaktionärer Weltbilder" und der "Verbreitung faschistischen Gedankenguts" gipfelt, immer selbstbewußt ignoriert. In der Tat kann man, wenn man nicht von Vorurteilen belastet ist, Filme wie "RoboCop" oder "Total Recall" (1990) durchaus auch als pessimistische Beiträge zum Thema Menschwerdung sehen. In "Total Recall" könnte der Bauarbeiter Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) im Jahre 2084 eigentlich ein ruhiges, glückliches Leben mit seiner hübschen Frau Lori (Sharon Stone) führen, würde er nicht Nacht für Nacht von seltsamen Träumen geplagt, die den Mars und eine exotische Frau zum Inhalt haben. Schließlich muß er entdecken, daß in ihm das Wissen eines Geheimagenten um die verbrecherische Kolonisierung des Mars und seiner Bevölkerung schlummert. Mit Hilfe der windigen Firma Recall Incorp., die Gedächtnisimplantate mit Erinnerungen an falsche Urlaubsreisen verkauft, kommt er schlußendlich einer Verschwörung, an der auch seine Frau beteiligt ist, auf die Spur.

War "Total Recall" eine gelungene Mischung aus Actionthriller und Science Fiction-Film, ist "Basic Instinct" (1992) ein effektvoll inszenierter Thriller über die Verquickung von sexueller Begierde und Gewalt und ein hintergründiges Spiel mit den seelischen Abgründen, die im menschlichen Unterbewußtsein schlummern. In San Francisco verfällt ein Detektiv (Michael Douglas) auf der Suche nach einer Mörderin der mutmaßlichen Täterin, einer erfolgreichen Schriftstellerin (Sharon Stone) und wird in ein undurchsichtiges und hochgefährliches Beziehungsgeflecht verstrickt, aus dem er sich bald nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann. Mit "Basic Instinct" drehte Verhoeven einen großen Kassenschlager und zugleich einen Skandalfilm, der Hollywood heftigst erschütterte. Vor allem jene berühmt gewordene Verhörszene mit Sharon Stone, die für Sekundenbruchteile ihre entblößte Scham präsentiert, trugen dem Regisseur einmal mehr den Vorwurf der "Pornographie" ein. Die in einem sehr weichen Licht gedrehte Szene ist vor allem deswegen so verstörend, weil Stone ihre Rolle perfekt mit einer im wahrsten Sinne des Wortes teuflischer Mischung aus offensiver Sexualität und kühler Unnahbarkeit spielt, die den Zuschauer, ob er es will oder nicht, in ihren Bann zieht.

Mit "Showgirls" (1995), einem erotisch-voyeuristischen Musical, dem im Hochglanzstil inszenierten Science-Fiction-Abenteuer "Starship Troopers" (1997) und "Hollow Man" (2000), einem an H. G. Wells angelehnten Fantasy-Thriller, gelang es Verhoeven in den letzten Jahren nicht mehr, an seine früheren großen Erfolge anzuknüpfen. Zur Zeit dreht er eine Fortsetzung von "The Thomas Crown Affair". Zudem plant er bereits seit Jahren die Verfilmung des Lebens einer oft zu Unrecht geschmähten Kollegin: Leni Riefenstahl. Die linksliberalen Kritiker dürfen also schon mal ihre Federn spitzen.

Doch was der Regisseur in den nächsten Jahren auch auf die Leinwand bringen wird, eins steht auf jeden Fall fest: Eine heile Welt und irdische Paradiese werden es mit Sicherheit nicht sein. Denn wie er selbst sagt: "Nur wenn man dem Paradies einige Elemente der Hölle zufügt, kann man interessante Dinge tun. Ich weiß nicht, warum das so ist, vielleicht sind wir vom Paradies gelangweilt."

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