© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Zwangsheirat bleibt strafbar
Gesetzesänderung: Aufregung um Streichung der Standesamtspfl icht / Religionsfreiheit als Argument / Keine rechtliche Wirkung
Eike Erdel

Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist das Recht der Eheschließung verändert worden. Ab 1. Januar 2009 darf sich ein Paar auch dann kirchlich trauen lassen, wenn es zuvor nicht standesamtlich geheiratet hat. Man kann also von da an kirchlich heiraten, ohne sich zivilrechtlich binden zu wollen. Aber nicht nur der Öffentlichkeit blieb die Gesetzesänderung bis vor kurzem verborgen, sondern auch einige Bundestagsabgeordnete haben scheinbar am 9. November 2006, als die Änderung des Personenstandsgesetzes im Bundestag beschlossen wurde, geschlafen und wundern sich jetzt, nachdem die Süddeutsche Zeitung Anfang Juli über die Gesetzesänderung berichtete, was sie dort beschlossen haben.

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Gehb, rätselt, warum man diese Änderung gemacht hat. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, bekennt, daß ihm da "etwas durchgegangen" ist und strebt eine Rückgängigmachung der Gesetzesänderung noch vor deren Inkrafttreten an.

Bemerkenswert daran ist aber nicht nur, daß scheinbar viele Abgeordnete nicht wissen was sie tun, sondern daß sie so schnell diese "übersehene" Gesetzesänderung rückgängig machen wollen. Hintergrund der späten Zweifel ist die Kritik von Islamkritikern, die wie die türkischstämmige Frauenrechtlerin Seyran Ates (JF 29/08) befürchten, daß durch die Gesetzesänderung in Deutschland der Vielehe und der Zwangsheirat Tür und Tor geöffnet werden. Die Regelung berge nach ihrer Auffassung ausschließlich Nachteile für Frauen und Kinder, die in rein religiös geschlossenen Ehen weitaus weniger rechtliche Absicherung hätten als in staatlichen.

Besonders stichhaltig ist die Kritik allerdings nicht. Rechtliche Wirkungen entfaltet weiterhin nur die standesamtliche Ehe. Wird nur eine kirchliche Ehe geschlossen, gibt es keine steuerlichen Vorteile, keine Unterhaltsansprüche, aber auch keine Unterhaltspflichten. Der Anreiz für eine standesamtliche Ehe bleibt also. Die Zwangsheirat ist und bleibt als Nötigung strafbar. Darüber hinaus gibt es sogar Bestrebungen, die Zwangsheirat als eigenen Straftatbestand unter Strafe zu stellen. Die Doppelehe ist ebenfalls strafbar, wobei sich dies nur auf die standesamtliche Ehe bezieht. Andererseits ist die Fortführung einer rechtsgültig im Ausland geschlossenen Doppelehe schon jetzt zulässig. Und in allen islamischen Ländern außer in Tunesien und der Türkei ist die Polygamie legal und wird praktiziert. Wenn also Vielehen angestrebt werden, dann ist diese Eheschließung jetzt schon legal im islamischen Ausland möglich.

Gegen die Gesetzesänderung kann auch nicht der Einwand erhoben werden, daß nur durch die standesamtliche Ehe die Ehefrauen und Kinder abgesichert seien, denn es steht schon jetzt jedem Paar frei, eine nichteheliche Partnerschaft zu führen und ohne Standesamt eine Familie zu gründen.

Eingeführt wurde die Zivilehe vor dem Standesamt erst 1875 durch Reichskanzler Otto von Bismarck in dessen Kulturkampf mit der katholischen Kirche. Vorher gab es weitgehend nur die kirchliche Ehe. Ab 1875 drohten dann den Pfarrern drei Monate Haft, wenn sie eine Trauung ohne vorangegangene standesamtliche Eheschließung vornahmen. Mittlerweile ist die kirchliche Voraustrauung aber nur noch eine Ordnungswidrigkeit und wird ohnehin nur mit einer Geldbuße geahndet.

Das drohende Ordnungsgeld hat islamische Paare in Deutschland bisher nicht davon abhalten können, ohne oder vor der standesamtlichen Trauung eine islamische Ehe zu schließen und ist daher nur ein stumpfes Schwert. Damit ist auch die Befürchtung der Frauenrechtlerin Seyran Ates unbegründet, denn es wird nach der Gesetzesänderung nichts geschehen, was nicht ohnehin schon geschieht.

Und wenn die nun aufgeschreckten Bundestagsabgeordneten effektiv Vielehen und Zwangsehen bekämpfen wollen, dann sollten sie nach Meinung von Experten wirksamere und zielgerichtete Gesetze beschließen, statt eine eben erst abgeschaffte Regelung aus der Mottenkiste der Geschichte des Bismarckschen Kulturkampfes wiederzubeleben. Für die Möglichkeit einer kirchlichen Trauung ohne obligatorische standesamtliche Trauung spreche schon die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit.

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