© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

"studiVZ": Freunde suchen, Hobbies teilen und dazu nicht immer korrekten Spaß haben
Alles ist möglich
Andrè Freudenberg

Lange Zeit war der Leserbrief die einzige Möglichkeit, Lob oder Unmut über einen mehr oder weniger gelungenen Beitrag kundzutun. Mit etwas Glück durfte man dann seine klugen Anmerkungen in der Zeitung wiederfinden. Das ist in Zeiten des Internet einfacher: Die Zahl der Plattformen und Diskussionsforen ist mittlerweile nahezu unüberschaubar. Die virtuelle soziale Interaktion boomt und führt unter dem Stichwort Web 2.0 zur Entstehung neuer sozialer Netzwerke.

Zu ihnen gehört auch studiVZ (studiVZ.net). Das äußerst populäre Online-Netzwerk gibt es seit Oktober 2005. Ähnlich wie sein US-amerikanisches Pendant Facebook war es einmal für Studenten entwickelt worden. Mittlerweile tummeln sich auch zahlreiche Abiturienten, Akademiker und Hochschulmitarbeiter auf den Seiten.

Das Online-Portal "studi-VZ", welches seit vergangenem Jahr zur Holtzbrinck-Gruppe (Die Zeit, Tagesspiegel, S. Fischer Verlag, Rowohlt Verlag, zoomer.de u.v.a.) gehört, finanziert sich aus Werbeeinnahmen, die Benutzung ist kostenfrei und soll es vorerst auch bleiben.

Dies und die nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten machen die Plattform, auf der laut einem "Reichweitenranking" der unabhängigen Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) inzwischen über 5,54 Millionen Nutzer registriert sind, äußerst beliebt. Ihr Betreiber studiVZ Ltd., der neben studiVZ auch die Portale schülerVZ (schuelerVZ.net) und meinVZ (meinVZ.net) anbietet, erreicht somit über mehr als neun Millionen Nutzer.

"Anything goes": Ob man alte Bekannte ausfindig machen oder seine Hobbies mit anderen teilen will. Für letzteres kann man mit anderen Nutzern Gruppen bilden. Solche gibt es inzwischen zu fast allen Themen.

Alles ist eben beliebig - und so kommen die Administratoren, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, immer mal wieder ins Schwitzen. Denn kaum ein Monat vergeht, ohne daß studiVZ in die Schlagzeilen gerät und dann irgendeinen Sex-Skandal zu verarbeiten hat.

Weil aber der gemeinhin andere "Spaßfaktor" im Leben eines Studenten doch nicht ganz unwichtig ist, findet man auch einige hundert Gruppen, die unter der Rubrik "Spaß und Unsinn" laufen. So feiern 23 Studis "Sylvesterparty in der geilsten WG der Welt", sind damit aber noch keineswegs an der Spitze der Verrücktheitsskala angelangt.

Selbstverständlich haben auch "Gemeinsame Interessen", "Sport und Freizeit" - wie überhaupt alle wichtigen (und unwichtigen) Dinge im Leben - ihr "Plätzchen". Manche Gruppen - und das unterscheidet Studi-VZ dann doch vom "richtigen" Leben - bestehen freilich nur aus einer Person oder gar aus null (!) Mitgliedern.

Den Parteien im rechten Spektrum steht ihre "virtuelle" Bedeutungslosigkeit ihrer "realen" kaum nach: So haben die Republikaner wenig Gruppen mit gerade mal einigen Dutzend Mitgliedern, unter dem Stichwort NPD findet man fast ausnahmslos Gegner der Gruppierung, die ihre Abneigung meist auf dem Niveau von Viertkläßlern kundtun. "Fick die NPD" zählt hier noch zu den harmloseren Sprüchen.

Auch eine ganze Reihe freiheitlich-konservative, nicht parteipolitisch gebundene Gruppen tummeln sich mittlerweile in dem Netzwerk, wobei nicht zuletzt konservativ-katholische, freisinnige und liberale Strömungen vertreten sind. Die Diskussionen sind nach Auskunft von Nutzern zum Teil rege und spannend, manchmal aber tendiert die Beteiligung auch gegen Null.

Doch während diese internen Gruppendebatten eher unverbindlich und folgenlos bleiben, kann die Mitgliedschaft in "falschen" Gruppen für den Betroffenen äußerst negative Konsequenzen haben. Bitter mußte dies unlängst Thomas Müller erfahren. Der hessische JU-Funktionär, der bis vor kurzem noch als "hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker" gehandelt wurde, wurde alle seine Parteiämter los. Der Grund: seine Mitgliedschaft in einigen politisch "unkorrekten" Foren ("Nach Frankreich fahr ich nur auf Ketten") war aufgeflogen und wurde ihm zum Verhängnis.

Kein Wunder, sagt Ernst Corinth. Der Journalist und Kenner der Materie legt die Finger auf die Spaßgruppen-Wunde: "Immer wieder und immer öfter wird davor gewarnt, im Netz allzu private Spuren zu hinterlassen. Das Internet vergißt eben nichts, und was einmal dort veröffentlich worden ist, läßt sich später nur schwer wieder löschen oder korrigieren. Dennoch leiden viele besonders in Netzwerken wie SchülerVZ oder StudiVZ unter einem ausgewachsenen Offenbarungswahn, verraten also ihre Vorlieben und Neigungen, auch sexuelle, präsentieren in ihren Profilen Fotos, die man eigentlich nur guten Freunden zeigen sollte. Und wenn dann diese Dinge plötzlich von Schlimmfingern böse ausgenutzt werden, ist der Katzenjammer groß."

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