© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Kolumne
Nation unter Nationen
Klaus Hornung

Ein sportliches Großereignis wie die Fußball-Europameisterschaft kann man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Für die Millionen ist sie vor allem ein großes Fest, für die Veranstalter, die Uefa und viele andere ist sie Kommerz, ein großes Geschäft. Für Politiker ist sie nicht zuletzt eine willkommene Ablenkung von den Übeln unserer politischen und wirtschaftlichen Situation. Solange die Massen jubeln, kommen sie nicht zum Nachdenken über ihre reale Lage, "und das ist gut so".

Unsere Gegenwart ist bekanntlich vom "panem et circenses", dem Brot und Spiele der römischen Kaiserzeit nicht allzu weit entfernt, die begann, als die Republik dem Cäsarismus, der Herrschaft des einen Mannes über die Massen, schon zum Opfer gefallen war. Der Massenfußball läßt ja offen, ob er sich nun als Menschheitsverbrüderung oder als - mehr oder weniger edlen - Wettstreit der Nationen versteht.

Auf jeden Fall wäre Nachdenken über seine Funktion im Massenzeitalter des 21. Jahrhunderts dringend anzuraten, auch angesichts der Symphonien der nationalen Flaggen in den Stadien. Unsere schwarzrotgoldenen Farben erweisen sich gerade hier als ästhetischer Knüller.

Aber man könnte auch einmal über ihre geschichtliche Herkunft nachdenken, nämlich aus dem Befreiungskrieg 1813 gegen die französische Fremdherrschaft, als das Freikorps Lützow die schwarze Uniform mit goldenen Tressen und roten Ausstößen trug, jene Farben, die dann die Urburschenschaft 1817 aufnahm und zur Fahne der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung machte. Diese Farben sind mehr als etwa die Vereinsfahne der deutschen Nationalelf, wie viele zu glauben scheinen. Sie sind in unserer zweiten Republik das Symbol einer freiheitlichen Demokratie und eines Staates, der seine Interessen auch über den Sport hinaus entschieden vertritt oder doch vertreten sollte, Ausdruck der Liebe auch zu einem Vaterland mit einer schweren Geschichte, von der Winston Churchill einmal gesagt hatte, man habe die Deutschen "entweder an der Gurgel oder auf den Knien".

Die Folgerung kann ja nur heißen "Weder noch, sondern auf den Beinen", eine Nation unter Nationen. Das ist heute in den Sportstadien selbstverständlich. Doch in der Politik hat sich diese Lösung immer noch nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit durchgesetzt.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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