© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Pankraz,
J. Thomson und das verlegene Patentamt

Das Europäische Patentamt in München hat die von dem amerikanischen Forscher James Thomson beantragte Patentierung der Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen vertagt. Es bestehe, um ein Urteil fällen zu können, "weiterer Informationsbedarf", heißt es. Man wolle sich erst einmal gründlich informieren. Doch Pankraz hat den Eindruck, daß es sich hier weniger um ein Informationsproblem als um ein ethisches Problem handelt.

Informationell ist die Sache ziemlich einfach und klar zu überschauen. Die Herstellung embryonaler Stammzellen (ES) besteht darin, daß man einen menschlichen Embryo im allerfrühesten Entwicklungsstadium, nämlich gleich nach der Befruchtung der Eizelle durch die Samenzelle, aus seinem natürlichen Entwicklungstrend herauslöst, um die ihm inhärenten Zellteilungen und -ausfaltungen künstlich zu beeinflussen und zu steuern, vulgo: um mit ihm zu experimentieren. Man erfindet dabei nichts, sondern man fällt eine ethische Entscheidung. Können denn aber Entscheidungen patentiert werden?

Eine große Fraktion innerhalb der diversen Ethikkommissionen, angeführt von den Vertretern der katholischen Kirche, vertritt die Ansicht, die befruchtete menschliche Eizelle werde durch ihre Herauslösung aus dem natürlichen Entwicklungstrend "getötet". Da jedoch, so die Doktrin der Kirche, bereits die befruchtete Eizelle ein vollwertiger, mit allen Schutzrechten ausgestatteter Mensch sei, bestehe das Verlangen des Forschers Thomson in nichts anderem, als sich die Tötung von Menschen zum Zwecke des wissenschaftlichen Experimentierens patentieren zu lassen. Dies sei ein schweres Verbrechen und unbedingt abzulehnen.

Soviel also in aller Kürze zu dem "Problem", das sich vor den Mitgliedern des Münchner Patentamtes auftürmt. Es ist, wie jeder sofort sieht, ungeheuer heikel, man kann gut verstehen, daß die dortigen Beamten sich überfordert fühlen. Über Leben oder Tod zu entscheiden, so argumentieren sie, sei Aufgabe ordentlicher Gerichte, nicht Aufgabe eines Patentamtes. Für dieses könne es immer nur darum gehen, abzuschätzen, ob eine eingereichte Erfindung auch wirklich eine "Erfindung" sei und nicht bloß eine "Entdeckung".

Wie die Dinge aussehen, will man es sich leichtmachen und Thomson abweisen, "weil er gar keine richtige Erfindung gemacht hat". Mit embryonalen Stammzellen experimentieren könne faktisch jeder, man müsse dazu nichts erfinden. Wo kämen wir denn hin, wenn jede beliebige Entdeckung zur Erfindung erhoben würde und extra dafür bezahlt werden müßte! Isaac Newton habe seinerzeit die Schwerkraft entdeckt, eine gewaltige, weltbewegende Entdeckung, aber niemand würde auf den Gedanken kommen, ihm die Schwerkraft zu patentieren. Das sei purer Unsinn, auf den nur völlig wissenschaftsfremde, geldgierige Kapitalisten verfallen könnten.

Natürlich hat dieses Argument manches für sich. Der Patentmißbrauch im Zeichen hemmungsloser Profitsucht ist heute zu einem echten Ärgernis geworden. Agrar- und Pharma-Konzerne, die zugegebenermaßen große Summen in die Forschung investieren, versuchen, das, was ihre Angestellten her-ausbekommen, mit allen juristischen Tricks patentieren zu lassen, obwohl es sich dabei keineswegs um Erfindungen, sondern um bloße neue Fakten und Forschungswege handelt, die gleichsam allgemeines Erbe der Menschheit sind wie Häuserbauen, Pilzesammeln oder Schuhanziehen. Für alles soll heute extra bezahlt werden.

Besonders skandalös in der Agrarwirtschaft die Entwicklung genbehandelten Saatguts bei synchroner Entwicklung von "zugehörigen" Schädlingsbekämpfungsmitteln, die also nur das exklusiv vom Konzern gelieferte Saatgut schützen, so daß die Bauern, die dieses verwenden, auch das betreffende Schädlingsmittel kaufen und verwenden müssen und vielleicht auch noch speziell für die neuen Produkte, etwa vom Konzern entwickelte Aussaat- und Erntegeräte, alles voll patentiert und lizensiert. So erzieht man Profitsklaven, keine freien Bürger.

Mit dem eigentlichen Problem, vor dem das Europäische Patentamt in der Causa James Thomson steht, hat das freilich nur am Rande zu tun. Bei dieser geht es, wie gesagt, angeblich um die Frage: Will sich hier ein "Erfinder" die Lizenz zum Töten von Menschen patentieren lassen? Viele Ethikkommissare behaupten das, und es wäre wahrhaftig ungeheuerlich. Indes, die Frage, meint Pankraz, beruht auf falschen Voraussetzungen, und zwar gleich in zweifacher Hinsicht. Weder vom Töten von Menschen kann die Rede sein noch überhaupt vom Töten.

Unzählige befruchtete menschliche Eizellen werden tagtäglich getötet, entweder durch natürliche, spontane Vorgänge oder durch bewußte Abtreibung. Aber die Stammzellenforscher töten gerade nicht! Sie haben die gewaltige Multipotenz ihrer Forschungsobjekte erkannt und untersuchen und erproben sie nun auf vielfältigste Weise. Voraussetzung dafür ist, daß die Zellen am Leben bleiben, ihre ebenso wunderbare wie rätselvolle Lebenskraft voll erhalten bleibt, womöglich noch über die Lebensdauer der von ihnen gebildeten Organismen hinaus. Stammzellenforschung ist Lebensforschung sui generis.

Daß die embryonalen Stammzellen bereits Menschen sind, glaubt Pankraz, bei allem Respekt vor ihrer Lebenskraft, allerdings nicht. Zum Menschsein gehört mehr als bloße Lebenskraft. Die Beseelung des Embryos ist ein späterer, kein bloß biologischer Akt; alle großen katholischen Gelehrten der Vergangenheit, von Augustinus bis Thomas von Aquin, haben das gewußt. Man sollte in den Ethikkommissionen endlich aufhören, dogmatische Scheinkämpfe mit unbeweisbaren Behauptungen zu führen.

Für das Europäische Patentamt kann jetzt schon Entwarnung gegeben werden. Es muß nicht über Leben oder Tod entscheiden. Es kann Herrn Thomson ganz sachlich abweisen als einen guten Forscher, der aber nichts erfunden hat, was sich zu Profit machen läßt.

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