© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Mediale Schützenhilfe für IM "Bolek"
Polen: Ein neues Buch dokumentiert Lech Wałesas Zusammenarbeit mit der polnischen "Stasi" / Linksliberale und Postkommunisten setzen auf Gegenangriff
Andrzej Madela

Der Skandal ist perfekt. Der erste nachkommunistische Präsident, Nobelpreisträger und etwa 50facher Doktor h. c. unterschiedlicher Universitäten zwischen Warschau und Washington, gerät wegen seiner Zusammenarbeit mit der polnischen Stasi (Sicherheitsdienst/SB) zunehmend in Erklärungsnot. Lech Wałęsa verzettelt sich in einander oft widersprechenden Angaben, droht Hinz und Kunz mit Enthüllung und Gericht - doch unternimmt er am Ende nichts davon (JF 23/08).

Der Imageverlust für Wałęsa ist immens. Dies hat vorwiegend mit der minutiös belegten Publikation von Sławomir Cenckiewicz und Piotr Gontarczyk zu tun ("Der SB und Lech Wałęsa. Beitrag zur Biographie"), aber auch damit, daß sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen in die Debatte eingeschaltet hat: Am 18. Juni strahlte es eine Doku zum IM "Bolek" aus, die trotz der späten Sendezeit (22.10 Uhr) eine beeindruckende Einschaltquote erreichte.

Die Sendung machte klar, worum es den Wałęsa-Anhängern geht: um die Verteidigung der Identität einer "Dritten Republik" (1989-2005), an der kommunistische und oppositionelle (aber linken Gedanken zutiefst verbundene Eliten speziell unter Tadeusz Mazowiecki und seinen Nachfolgern bis 1993) ihren maßgeblichen Anteil hatten. Sie sorgten dafür, daß sich die Schlußstrich-Politik von einer beabsichtigten Versöhnung mit den Tätern in einen tatsächlichen Freibrief für diese verwandelt hatte.

Die beiden Autoren des Instituts für Nationales Gedenken (IPN, polnische "Gauck-Behörde") belegen, wieviel der von seiner keineswegs hehren Vergangenheit bedrängte Solidarność-Führer gerade den in den "demokratischen" Staatsschutz übernommenen SB-Profis verdankt - insbesondere in den neunziger Jahren bei der dreifachen "Endreinigung" seiner SB-Akte, aus der die wichtigsten Dokumente "verlorengegangen" und andere "hineinkomponiert" worden sind.

Wałęsas Präsidentschaft hatte diese Symbiose von Opfern und Tätern zunächst ermöglicht, zum Schluß auch nach Kräften gefördert. Seine Präsidentschaft brachte es fertig, eine Gemeinsamkeit der Interessen zwischen Opfer und Täter herzustellen - weit über die eigene Amtszeit (1990-1995) hinaus.

Sturmgeschütz der Wałęsa-Verteidigung bleibt die linksliberale (gleichzeitig auflagenstärkste) Gazeta Wyborcza (GW) des Ex-Dissidenten Adam Michnik. Die einstige Solidarność-Wahlzeitung war das erste Medium, das bereits einen Monat vor Erscheinen des sofort ausverkauften Buchs für eine Art öffentliche Ehrenerklärung trommelte, die von prominenten Liberalen und Linken aus Politik, Kultur und Wissenschaft unterzeichnet worden war - ohne daß sie auch nur eine Zeile des damals wohlgehüteten Manuskripts gelesen hätten.

Die Eltern zahlreicher GW-Redakteure gehörten bis 1968 vielfach zur KP-Nomenklatura. Ihr Bruch mit dem Kommunismus hatte nicht selten etwas mit den seinerzeitigen antisemitischen Kampagnen in Polen zu tun. Die konnten aber nicht verhindern, daß die meist sorgenfreie Kindheit und Jugend ihrer Sprößlinge unter KP-freundlichen, linksorientierten Vorzeichen verlaufen war. Nach dem Solidarność-Zerfall und Wałęsas verlorenen Präsidentschaftswahlkampf 1995 näherten sich die postkommunistische und die liberale (ex-kommunistische) Strömung einander an. Seitdem gehört die GW zu den erbitterten Gegnern der "Durchleuchtung" und einer Entfernung aus dem öffentlichen Amt bei denen, die sich 1944 bis 1989 als IMs betätigt hatten.

Der seit über einem Monat betriebene GW-Einsatz für Wałęsa ist enorm. Nicht genug damit, daß für das Thema "IPN kontra Wałęsa" eine ständige Seite eingerichtet wurde, auf der Koryphäen linksliberaler Provenienz das IPN unter zermürbenden Beschuß nehmen. Die Forderungen gehen viel weiter: Das IPN sei dabei, eine Demontage der nachkommunistischen Geschichte zu betreiben; deshalb gehöre es entweder aufgelöst oder radikal umgebaut, so zum Beispiel Władysław Frasyniuk, einst Solidarność-Aktivist, später letzter Vorsitzender der erfolglosen linksliberalen Freiheitsunion (UW), am 24. Juni in einem GW-Interview mit dem bezeichnenden Titel "IPN auflösen". Ähnlich äußerten sich - aus naheliegenden Gründen - Vertreter der postkommunistischen Linken (SLD).

Für die regierende rechtsliberale Bürgerplattform (PO) wäre ein radikaler "Umbau" eher vorstellbar, sollte man den Einlassungen des PO-Fraktionsvize Grzegorz Dolniak von voriger Woche folgen. Offensichtlich unter dem Einfluß der eigenen Wahlklientel ruderte aber dessen unmittelbarer Vorgesetzter, PO-Fraktionsvorsitzender Zbigniew Chlebowski, bereits wenige Tage später zurück: Die PO wolle keine Abschaffung des IPN, sein Stellvertreter sei offenbar "mißverstanden" worden, so Chlebowski im Radiosender RMF-FM.

Mit Genugtuung dürften Präsident Lech Kaczyński und dessen Bruder, Ex-Premier und Chef der sozialkonservativen Oppositionspartei PiS, Jarosław Kaczyński, die Wałęsa-Entzauberung verfolgen - hatten sie sich doch schon vor Jahren auch wegen der SB-Frage mit dem einstigen Präsidenten verkracht.

Sławomir Cenckiewicz, Piotr Gontarczyk: SB a Lech Wałesa - Przyczynek do biografii. Instytut Pamieci Narodowej, Warschau 2008, gebunden, 752 Seiten, 65,00 Złoty

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