© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

"Autobahn für die Taliban"
Afghanistan: Weder die ausländischen Interventionstruppen noch die Radikalislamisten können den Krieg für sich entscheiden
Günther Deschner

Die Bundeswehr hat Anfang dieser Woche von Norwegen die Aufgabe der schnellen Eingreiftruppe (Quick Reaction Force) im Norden Afghanistans übernommen. Damit stellt Deutschland, das innerhalb der Internationalen Stabilisierungstruppe (Isaf) für Nordafghanistan zuständig ist, erstmals einen Kampfverband in der Region. Insgesamt sind derzeit gut 3.500 deutsche Soldaten in Afghanistan. Das Mandat soll im Herbst auf 4.500 Mann aufgestockt werden - wenn der Bundestag mitspielt.

Die Truppenverstärkung, zu der Berlin schon lange von der Nato-Spitze gedrängt worden war, erfolgt vor dem Hintergrund einer weiterhin kritischen und sich zuspitzenden Sicherheitslage am Hindukusch. Das Pentagon hat gerade mitgeteilt, daß sich die Zahl der Taliban-Angriffe im Osten Afghanistans seit Jahresbeginn um 40 Prozent erhöht hat, die Zahl der US-Gefallenen gegenüber dem Vorjahres sogar fast verdoppelt. Bei den zivilen Todesopfern beträgt die Zunahme fast zwei Drittel. Besonders kritisch wird gesehen, daß die Kräfte des von den Taliban geführten Widerstands zunehmend in Gebiete einströmen, die bislang als stabil galten. Das hat zu erneuten Überlegungen im Pentagon geführt, die Truppenstärke in Afghanistan noch einmal "deutlich zu erhöhen und die Strategie zu überdenken".

Das würde allerdings eine Reduzierung der US-Truppenstärke im Irak bedeuten. Daß der Krieg gegen und in Afghanistan und die inzwischen im siebten Jahr andauernde Besatzung trotz der Isaf-Präsenz, deren Aufgabe es war und ist, "ein sicheres Umfeld für den Aufbau einer neuen afghanischen staatlichen Ordnung" zu schaffen, die gesteckten Ziele nicht erreicht hat, ist offensichtlich. Schon im Frühjahr mußte der amtierende Director of National Intelligence (DNI) vor dem US-Senat eine sehr negative Einschätzung der Lage in Afghanistan seitens der US-Geheimdienste vortragen. Die Regierung von Hamid Karsai habe in nur 30 Prozent des Landes Einfluß, zehn Prozent würden bereits von den Taliban kontrolliert.

Die Herrschaft über die anderen 60 Prozent des afghanischen Territoriums werde von regionalen Stammes- und Clanchefs, Warlords oder Drogenbaronen ausgeübt. Auf dem Rußland-Nato-Rat in Brüssel referierte Rußlands Afghanistan-Botschafter Samir Kabulow brisantere Zahlen: Demnach hätten die Taliban bereits in über der Hälfte Afghanistans erkennbaren Einfluß, und 20 Prozent des Landes würde von ihnen kontrolliert. Trotz der andauernden internationalen Friedensmissionen verschlechtere sich die Lage täglich.

Andererseits ist ebenso klar, daß die Taliban militärisch nicht in der Lage sind, sich den amerikanischen und internationalen Interventionstruppen im offenen Kampf zu stellen, was angesichts des insbesondere von den US-Streitkräften eingesetzten Materials nicht verwundert: auf der einen Seite teilweise 30 bis 50 Jahre alte Waffentechnik, auf der anderen vernetzte elektronische Kriegführung, Tornado-Aufklärung, Wärmesuch- und Satellitenbilder, massive Luftunterstützung bis hin zum Einsatz von B1-B-Langstreckenbombern. Daß die Taliban sich zu Meistern aller Formen des Kleinkriegs, des Fallenstellens, des "Zuschlagens und Verschwindens" entwickelten und entwickeln mußten, einschließlich terroristischer Mittel, liegt auf der Hand. Allerdings ist die Zahl der Selbstmordattentate mit zwei pro Woche sehr gering. Die größten Verlustzahlen entfallen auf Gefechte.

Nach wie vor ist gültig, was die US-Senatoren Joe Biden und John Kerry kürzlich nach einer Reise in die Region berichteten: "Afghanistan gleitet in einen Fehlschlag ab", konstatierten sie, aber nicht in erster Linie wegen der grundlegenden Fehler von Politik und Militär, sondern wegen der "durchlässigen Grenze" zu Pakistan, einer "Autobahn für die Taliban".

Karsais Drohung, er werde seine im Aufbau befindliche Armee in das pakistanische Grenzgebiet schicken, um die Kämpfer der Taliban zu verfolgen, ist deswegen nicht unbedingt lächerlich. Auch die Amerikaner würden am liebsten so verfahren. Der Druck, den sie seit langem auf die pakistanische Führung ausüben, und auch die Angst, die man auch in Islamabad vor den Taliban hat, zeitigen dieser Tage die ersten Erfolge: Gerade hat die pakistanische Armee eine Offensive gegen die dort immer mächtiger werdenden Taliban-Rebellen in der Grenzstadt Peschawar begonnen. Die Paschtunen-Stadt liegt am strategisch wichtigen Khaiberpaß, über den auch ein Großteil des Nachschubs für die Isaf-Truppen läuft. Wer den Raum letztlich militärisch kontrollieren wird, ist noch ungewiß. Der Afghanistankrieg, in den die Bundeswehr verstrickt ist, dürfte sich also eher noch auf das Nachbarland Pakistan ausweiten und jedenfalls nicht so schnell zu Ende sein.

Foto: Bundeswehr in Afghanistan: Bald auf 4.500 Mann aufgestockt?

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