© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Arte-Dokumentation: Dem Mythos ein menschliches Antlitz verleihen
Sturzflüge für den Kaiser
Silke Lührmann

Selbstmordattentäter genießen in der westlichen Welt kein hohes Ansehen. Wie sieht es aber - gut sechzig Jahre nach Kriegsende - in einer Kultur aus, die sie einst als Götter verehrte?

Die junge New Yorkerin Risa Morimoto reist nach Japan auf den Spuren ihres Onkels, den sie für einen Fanatiker hielt, seit sie weiß, daß er im Zweiten Weltkrieg zum Kamikaze-Piloten ("Tokkotai") ausgebildet wurde. Da der Onkel lange tot ist, rollt sie die Familientragödie zum zeitgeschichtlichen Panorama aus, um dem Mythos ein menschliches Antlitz zu verleihen. 

"Ich war ein Kamikaze" (Arte, 2. Juli, 21 Uhr) folgt dem bewährten Format seriöser Geschichtsdokus: Nach einem Schnellkurs im japanischen Imperialismus bis 1940 befragt die Filmcrew Zeitzeugen und Historiker, sichtet Archivmaterial, besucht Museen, Gedenkstätten und historische Schauplätze. Zwischendurch wird's mal spielerischer: Eine Zeichentricksequenz im japanischen Manga-Stil dramatisiert Nakajima Kazuos und Hamazono Shigeyoshis knappes Entkommen, als sie bei ihrem Todesflug unter Beschuß von amerikanischen Corsair-Maschinen geraten. Danach "war uns nicht mehr nach einem Kamikaze-Angriff zumute". Takehiko Ena rettete ein Motorschaden, der ihn zur Bruchlandung zwang. Fast drei Monate lang überlebte er auf einer Insel, bis ihn ein U-Boot auffand.

Viertausend weniger Glückliche stürzten sich als "Inspiration und Vorbild für das ganze Volk" in den Tod, insgesamt versenkten sie 57 amerikanische Flugzeugträger, Zerstörer und Frachtschiffe. Morimoto zeichnet das Bild einer Nation aus Untertanen, die bedingungslos bereit sein mußten, für den Kaiser zu sterben. Andersdenkende wurden von der Militärpolizei verhaftet, erinnert sich ihre Tante.

Vor allem aber lebt dieser berührende, verstörende Film von den Erinnerungen vier überlebender Kamikaze-Piloten. Aus schneidigen Fliegerassen sind alte Herren mit gütig zwinkernden Augen geworden, Großvatertypen. Das Zivilleben hat es mehr oder auch weniger gut mit ihnen gemeint: respektable Geschäftsleute die einen, Fabrikarbeiter die beiden anderen.

Und siehe da: Manches war ganz anders, als man denkt. Von Ehre - der eigenen oder der des Landes, geschweige denn des Kaisers - ist da sowenig die Rede wie von gezielter Gehirnwäsche bei der Ausbildung. Viel tragischer: Wer als Student eingezogen wurde, habe früh erkannt, daß der Krieg angesichts der Überlegenheit des amerikanischen Materialeinsatzes nicht zu gewinnen war.

Diese Einsicht teilte selbst die Militärführung, und als im Oktober 1944 die Kamikaze-Einsätze beschlossen wurden - angeblich um Kaiser Hirohito ob der aussichtslosen Lage, die eine derart "entsetzliche Strategie" (Admiral Takijiro Ohnishi) erforderlich machte, zur Kapitulation zu bewegen -, meldeten sich keine Freiwilligen. Vielmehr erzählen die Veteranen von Schmerz und Trauer, von der ungläubigen Verzweiflung, ihre Namen auf der Liste der Todgeweihten zu lesen, aber auch von der enormen Kameradschaft auf dem Stützpunkt, wo die zum Selbstopfer Verdammten ihre letzten Tage verbrachten. Der Originaltitel "Wings of Defeat", das zeigt sich bald, ist sehr viel sprechender als der deutsche.

Nachdem Tokio und Osaka durch Brandbomben zerstört und Anfang April 1945 die Kriegsflotte zerschlagen war, wurde jeder Flug zum Kamikaze-Flug. Japans Ölvorräte gingen zur Neige, der Treibstoff wurde mit Kiefernharz gestreckt, der Tank nur noch für den Hinflug gefüllt. Für die Zivilbevölkerung galt die Parole, alle Japaner seien nun Kamikaze-Kämpfer. Mit Bambusspeeren hätten sie sich für den Endkampf gerüstet, schildert Morimotos Tante.

Die Atombomben-Abwürfe stürzten die Überlebenden in ein Wechselbad aus Erleichterung und Schuldgefühlen. Nein, hinterher habe niemand damit geprahlt, Kamikaze-Pilot gewesen zu sein. "Sorry, Sie werden das nicht gern hören", entschuldigt sich Nakajima Kazuo, ehe er der japanisch-amerikanischen Filmemacherin von den US-Maschinen erzählt, die er als Marineflieger abschoß.

Welche Botschaft ihr Schicksal die Nachgeborenen lehren muß, steht für alle vier außer Zweifel: Nie wieder wird Japan einen Krieg anfangen, dieser Hoffnung sind sie sich sicher. Ein Schelm, wer bei soviel aufgeklärter Geläutertheit an Umerziehung denkt oder daran, ob nicht doch der Sieger die Geschichte schreibt. Indes ist auch auf amerikanischer Seite wenig vom propagandistisch geschürten Haß auf den entmenschlichten Feind geblieben. "Hätten wir unsere Ostküste gegen Deutschland und unsere Westküste gegen Japan verteidigen müssen, hätte es auch bei uns Selbstmordeinsätze gegeben", stellt ein Überlebender der vor Okinawa versenkten "USS Drexler" nüchtern fest.

Fotos: Kamikaze-Angriff auf einen US-Flugzeugträger im Pazifik; Hamazono Shigeyoshi

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