© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

EM 2008
Vernunft der Statistik
Arthur Hiller

Die Überraschungsmomente der Europameisterschaft waren bislang nicht eklatanten Verstößen gegen die nüchterne Vernunft der Fußballstatistik geschuldet. Sie ergaben sich vielmehr aus dem Turnierverlauf selbst. So stark oder schwach sich eine Mannschaft auch in einem Spiel präsentierte - bereits bei der nächsten Partie konnte alles wieder ganz anders sein. Binnen weniger Tage schalteten die schon als rumpelnde Versager abgeschriebenen Deutschen um und triumphierten über eine portugiesische Equipe, die nicht zum ersten Mal überschätzt worden ist. Die Niederländer kamen über den Ehrentitel eines "Europameisters der Vorrunde" nicht hinaus - sie scheiterten an einem russischen Team, das nach dem Auftaktdebakel gegen Spanien als noch zu grünschnäbelig angesehen wurde. Von allen Mannschaften, die nach der Vorrunde Adieu sagen mußten, war solches durchaus zu erwarten gewesen. Eine Ausnahme stellten allenfalls die Franzosen dar, aber eine der drei traditionellen Fußballmächte in der "Todesgruppe" mußte halt auf der Strecke bleiben.

Im Lichte der Statistik hat sich die eigentliche Überraschung der EM somit unverändert bereits am 21. November vorigen Jahres zugetragen, als die Kroaten durch einen 3:2-Sieg in Wembley das englische Aus in der Qualifikation besiegelten. Ausgerechnet jenes Land, das die stärkste Profiliga des Kontinents beheimatet, blieb damit dem Turnier fern. Dennoch war die Premier League auf ihm mit insgesamt 40 Kickern in zwölf Nationalmannschaften reichlich und prominent vertreten. Lediglich die Bundesliga schnitt hier mit 56 Spielern in 15 Teams besser ab. Insgesamt erhärtet der Turnierverlauf die These, daß eine Nationalmannschaft um so erfolgreicher ist, je weniger Legionäre sie im Kader hat und je stärker die heimische Liga ist.

So gesehen kann auch das Vordringen der Russen ins Halbfinale nicht überraschen: Ein einziger ihrer Spieler kickt im Ausland, und Rußland hat dank Zenit St. Petersburg in der über die Startplätze in den internationalen Wettbewerben entscheidenden Rangliste der Uefa einen Sprung nach vorn auf Platz 6 gemacht. Auch das Schwächeln der Niederländer und Kroaten im Viertelfinale findet hier eine Erklärung: Ganze neun Akteure aus der Eredivisie reisten zur EM-Endrunde an, aus der kroatischen höchsten Spielklasse gar nur drei. In Marko van Bastens Kader standen 15 Legionäre, in jenem von Slaven Bilic 20.

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