© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Strippenzieher
Frage aller Fragen: "Lohengrin" im Staatstheater Nürnberg
Werner Veith

Schon wieder piepst das Nazometer im Nürnberger Opernhaus: Von "Führer" und "Sieg Heil" ist dort die Rede, von "Mit Gott wohlauf für deutsches Reiches Ehr'", bilanzierte Dramaturg Klaus Angermann empörungsschwanger den Opernfreunden bei einem Informationsvormittag zu Richard Wagners "Lohengrin". Eine gewisse Distanzierung sei also angebracht. Dann schimpfte er auf die Nürnberger Nachrichten, weil sie über den Inszenierungsstreit zwischen Regisseur Michael Simon und Dirigent Christof Prick berichteten. (Dabei hat eine Zeitung geradezu die Pflicht, sowohl die Eigentümer eines öffentlichen Theaters - also uns Bürger - wie auch die Besucher im Sinne des Verbraucherschutzes pfeilschnell zu informieren). Schließlich plauderte Angermann über die aktuelle Aufführung: von Lohengrin als Puppe, von Verfremdungen im Sinne Bertolt  Brechts und von Videoprojektionen, die bis zur Schmerzgrenze gehen.

Und in der Tat, die Schmerzen kommen schnell, weil das Theater mit Bildern und Regieanweisungen geflutet wird (zumindest in den ersten beiden Akten). Die Opernaufführung beginnt mit einer Videoeinspielung, das Zuschauerauge fährt durch graue Landschaften, an Brückenpfeilern und Strommasten vorbei. Dann folgen lustfeindliche Worte von Richard Wagner höchstpersönlich, projiziert an die Leinwand im Bühnenhintergrund: "Lassen wir niemals zu, ... daß die Musik zur Erholung diene, daß sie erheitere."

Endlich setzt die Musik ein, die rauschhafte, und auf einem großen Tisch versammeln sich ganze Armeen an Soldaten, allerdings sehr kleine, wenige Zentimeter große Soldaten. Die Sänger sitzen um das Schlachtfeld, nehmen mal diese, mal jene Figur in die Hand und debattieren die Frage, ob die Fürsten in Antwerpen den Bayern zu Hilfe kommen sollen - damals, im zehnten Jahrhundert, fielen ungarische Reiterhorden in Süddeutschland ein. "Ob Ost, ob West, das gelte allen gleich. Was deutsches Land ist, stelle Kampfesscharen. Dann schmäht wohl niemand mehr das deutsche Reich", singt der deutsche König Heinrich der Vogler (Guido Jentjens). Die Strippenzieher werden per Kamera aufgenommen und stark vergrößert an die Video­leinwand geworfen.

Soweit das historische Ritterstück - jetzt kommt das Märchenhafte: Ein fremder Ritter (Lohengrin) fliegt auf einem Schwan ins Land. Er ist bereit, für Elsa zu kämpfen, die des Brudermordes angeklagt ist. Bedingung: "Nie sollst Du mich befragen" - Elsa darf nie nach Namen und Herkunft fragen. Doch (Frauen sind eben manchmal so) Elsa will wissen, wen sie eigentlich zum Ehemann haben wird. In der Nürnberger Inszenierung nimmt sie die Plastikkopie von Lohengrins Kopf in die Hand, dreht und wendet ihn hin und her, in der Hoffnung, seine Gedanken zu lesen, aber sie kann nichts finden. Endlich zerlegt sie den Kopf und bemerkt, daß er leer ist.

Das Häuschen von Lohengrin und Elsa steht auf vier hohen, wackeligen Stelzen. Als dann Elsa die Frage aller Fragen in der Hochzeitsnacht stellt, also die Frage nach der Herkunft von Lohengrin, entschwebt die Hausfassade nach oben und das frischgebackene Ehepaar ist schutzlos ihren Konflikten ausgeliefert. Schließlich muß Lohengrin das Rätselraten zu seiner Person beenden: Er ist ein Gralsritter, seine göttliche Kraft behält er nur dann, wenn er unerkannt für die Gerechtigkeit kämpft. Sobald die Frage nach seinem Namen aufkommt, muß er die Beschützten verlassen. Alsdann verschwindet Lohengrin im Boot, gezogen von einem Schwan. Dieser romantische Zug blitzt in Nürnberg wenig auf, genausowenig wie die Sehnsucht bei Lohengrin, als ganz normaler Mensch geliebt zu werden. Richard Wagners Botschaft lautet ja: Nie sollst Du mich befragen, sondern so lieben, wie ich bin (egal ob ich edler Gralsritter oder Millionär bin).

Der Gralsritter Lohengrin verlange nicht nach Bewunderung oder Ansehen, sondern nach Geliebtsein, nach Verstandensein durch Liebe, die ihn aus seiner Einsamkeit erlöse, schreibt Richard Wagner in "Eine Mitteilung an meine Freunde" von 1851.

Die nächste "Lohengrin"-Aufführung in der Nürnberger Oper, Richard-Wagner-Platz 2-10, findet statt am 13. Juli. Kartentelefon: 0 18 05 / 23 16 00

Fotos: Heinrich der Vogler (Guido Jentjens): Ritterstück; Lohengrin (Stefan Vinke)

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