© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Pankraz,
Winy Maas und das Schweine-Hochhaus

Völlig ernst gemeint ist der Plan des Rotterdamer Architekturbüros Mydy und seines Chefs Winy Maas, die Niederlande so bald wie möglich mit einem Netz von Hochhäusern für Mastschweine zu überziehen. In Holland, so rechnet Maas den kommunalen Behörden vor, gibt es ebenso viele Schweine wie menschliche Einwohner, das Land ist aber klein, die noch bebaubare Fläche knapp. Weshalb also nicht endlich Schweineställe in die Höhe statt in die Breite bauen?

Maas legt genaue Pläne vor, wie so ein dreißig- bis vierzigstöckiger "Pork Port" (Schweinehafen) aussehen könnte. Die einzelnen Etagen sollen, nach dem Vorbild des Commerzbank-Wolkenkratzers in Frankfurt am Main, künstlich begrünt werden. Die ganze für so einen Pork Port benötigte Energie wird umweltschonend ("Bio-Energie"!) aus dem im Haus anfallenden Dung produziert. Die die Umwelt sonst belastenden Transporte zum Schlachthof fallen weg, da in jeden Port selbstverständlich ein "integriertes Schlachthaus" installiert wird.

An alles ist gedacht. Speziell aus den ökologischen Erfahrungen in Frankfurt und anderswo hat man gelernt. Dort stellte sich  heraus, daß "vertikale Gärten" sehr anfällig für Schädlingsbefall sind und eines unvertretbaren Quantums an chemischen Bekämpfungsmitteln bedürfen. Inzwischen sind schädlingsresistente Rasensorten herangezüchtet worden, die zu ihrem Schutz keine chemische Keule mehr brauchen. Und der bei der Schweinemast anfallende Gestank belästigt die Menschen unten am Boden überhaupt nicht mehr. Er wird von den vorherrschenden Westwinden aus großen Höhen direkt nach Deutschland weggetragen.

Mijnheer Maas hat wohl recht: Technisch und lebenspraktisch ist kaum etwas gegen das "Projekt Pork Port" einzuwenden. Trotzdem hält sich die Begeisterung bei denen, die bisher davon Kenntnis genommen haben, in engen Grenzen. "Das Leben besteht doch nicht nur aus Technik und Kosten/Nutzen-Rechnung", wird eingewandt, "was ist mit der Ästhetik? Sollen wir wirklich zulassen, daß unser schönes flaches Land in Zukunft vorwiegend von Schweinetürmen überragt wird? Was würden denn die Fremden, die Gäste und Touristen von uns denken? Holland = Schweinheim? Nie und nimmer!"

Bemerkenswert: Eifersucht auf die Schweine als potentielle Hochhausbewohner regt sich nirgendwo, wenn Pankraz richtig zuhört. Niemand sagt: "Das wäre ja noch schöner! Wir hausen unten in flachen Katen, und ausgerechnet die Schweine genießen von oben grandiose Ausblicke auf Meer und Bodden. Verkehrte Welt." Niemand hält das Leben im Wolkenkratzer für besonders angenehm, gar für erstrebenswert. Hochhäuser schaffen Büroraum, keinen wirklichen Lebensraum. Man "lebt" nicht freiwillig in Hochhäusern, sondern arbeitet darin und wird dabei fett oder mager.

Die spezifisch ästhetische Frage ist dabei noch gar nicht berührt, die Frage nämlich, wie Hochhäuser, ob nun für Mastschweine oder für Bürohengste, das Bild unserer Städte verändern. Machen sie es schöner? Entstellen sie es? Im Warschau der Kommunistenzeit, in dessen Zentrum die russischen Bolschewiken als "Freundschaftsgeschenk" einen "Kulturpalast" in Form eines wahnwitzigen Wolkenkratzers hineingestellt hatten, ging seinerzeit die Rede um: "Der schönste Blick auf Warschau ist der vom obersten Stock des Kulturpalastes. Denn es ist der einzige Ort, von wo aus man den Kulturpalast nicht sieht."

So wie mit dem Warschauer Kulturpalast verhält es sich letztlich mit allen übrigen Wolkenkratzern auch. Man ignoriert sie ästhetisch, so weit es nur irgend geht. Man behandelt sie nicht als Architektur, sondern als Naturereignis, als eine Art Watzmann oder Piz Palü. Man blickt von unten kurz an ihnen hinauf wie an einer spektakulären Steilwand, man erklettert sie, um von oben einen Gipfelblick zu gewinnen, ihr eigener Anblick jedoch interessiert nicht, stößt allenfalls ab.

Wie denn auch anders! Ästhetik meint das "Überflüssige", das, was über bloße Funktionalität hinausreicht, in der Außenarchitektur also die Fassadengestaltung, den Schmuck, das Ornament. Beim Wolkenkratzer aber spielen Gestaltung und Ornament lediglich (wenn es hochkommt) an den ersten vier, fünf Stockwerken eine Rolle und dann - vielleicht für Flieger - noch am allerobersten Stockwerk, am Dach. Hingegen ist das, was "Hochhaus" eigentlich ausmacht, der Höhengewinn, der Raumgewinn, reine Funktionalität und wird auch so behandelt.

Wen interessiert denn, ob und wie sich ein vierundvierzigstes Stockwerk vom fünfundvierzigsten oder ein neunzigstes vom einundneunzigsten unterscheidet? Hier schöpferisch-gestaltend tätig zu werden, wäre Rokoko für Turmfalken, die reinste Lächerlichkeit. Selbst dem verbissensten "L'art pour l'art"-Enthusiasten fiele so etwas nicht im Traum ein, ganz abgesehen davon, daß ihn der Bauherr andernfalls sofort entlassen würde.

Im Hinblick auf die Ästhetik im engeren Sinne müßten die Holländer also nicht fürchten, sich durch die Errichtung von Schweinehochhäusern extra zu blamieren. Ob in irgendeinem soundsovielten Stockwerk Schweine gemästet oder Pläne für ein neues Fernsehmagazin entworfen werden, kann man einem Wolkenkratzer nicht ansehen.

Die Sache mit den Pork Ports ist mehr eine Frage des allgemeinen Geschmacks als architekturtheoretischer Erörterungen. Kein feiner Bürohengst möchte mehr in Hochhäusern arbeiten, wenn er weiß, daß gleich im Tower nebenan die Schweine zugange sind. Unsere ganze moderne Gesellschaftshierarchie käme ins Wanken.

Die Schweine werden natürlich nicht gefragt. Aber in Wilhelm Buschs Bildergeschichte vom Hl. Antonius von Padua verbündet sich dieser zuletzt mit einem Schwein und nimmt es mit in den Himmel. "Es kommt so manches Schaf herein, /  Warum nicht auch ein braves Schwein?" sagt Petrus. Zumindest soll das demnächst für den Wolkenkratzerhimmel gelten.

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