© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Fünfzig Jahre Frieden
Politische Zeichenlehre LI: Anti-Atomtod-Zeichen
Karlheinz Weissmann

Das Magazin Time hat ihm einen Geburtstagsartikel zum Fünfzigsten gewidmet (www.time.com/peace), es gibt sogar eine englischsprachige Monographie über seine Geschichte (Ken Kolsbun und Michael S. Sweeney: Peace: The Biography of a Symbol, 2008), und in der Aufarbeitung der 68er-Zeit während der letzten Wochen war es allgegenwärtig: auf Plakaten, Fahnen und Transparenten, Batik- und Fransenhemden, als Muster, als Gürtelschnalle oder als Kettenanhänger, als Button oder Stirnband, als Gesichtsbemalung oder Sgraffito, auf Kaffeetassen oder Papierservietten: das Anti-Atomtod-Zeichen.

Es handelt sich bekanntermaßen um ein Emblem bestehend aus einem Kreis, den eine senkrechte Linie teilt, flankiert von zwei Schrägen, die ungefähr bis zum unteren Drittel der Senkrechten reichen. Seinen Ursprung hat es im Widerstand gegen das atomare Wettrüsten der Nachkriegszeit. Zuerst soll es im April 1958 in England bei einem Protestzug der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gegen das Nuklearzentrum Aldermaston auf Plakaten und Fahnen - Weiß auf Schwarz - mitgeführt worden sein und verbreitete sich danach in der Ostermarschbewegung, der wichtigsten pazifistischen Strömung. Der sowjetische Block duldete die Verwendung vorübergehend, schränkte sie aber bald wieder ein, was auch mit dem Erfolg des Symbols im Westen und der Beliebtheit in jener "dekadenten" Jugendkultur zu tun hatte, deren Zentrum die USA waren.

Dorthin kam das Anti-Atomtod-Zeichen früh durch einen Bürgerrechtler aus dem Umfeld Martin Luther Kings, der an einer ersten Demonstration unter dem Anti-Atomtod-Zeichen in London teilgenommen hatte und es dann mit nach Hause nahm. In den Vereinigten Staaten spielte es sofort eine zentrale Rolle bei den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und tauchte sogar als Accessoire zunehmend demoralisierter GIs an der Front auf; es existiert ein Foto, das eine Fahne mit dem Emblem zeigt, die über Geschützen in Laos wehte.

Das Anti-Atomtod-Zeichen war damit endgültig zu einem pazifistischen Symbol geworden, das bis heute zu jeder Friedensdemonstration gehört; es entwickelte sich aber gleichzeitig zur Pop-Ikone, brachte den neuen Zeitgeist - "love and peace" - zum Ausdruck und gehört seitdem zum Repertoire der linken Gegenkultur und ihrer kommerziellen Varianten.

Die Erfindung des Anti-Atomtod-Zeichens hat man immer wieder dem bekannten Pazifisten Bertrand Russell zuschreiben wollen, allerdings spricht mehr dafür, daß es auf den sonst nicht hervorgetretenen englischen Aktivisten Gerald Holtom zurückzuführen ist. Er soll es als Ableitung von den Buchstaben "N" und "D" für nuclear disarmament - "atomare Abrüstung" im Winkeralphabet entworfen haben; das "N" wird in dessen System ausgedrückt durch zwei schräg vom Körper weggehaltene Signalflaggen, das "D" durch eine emporgereckte Signalflagge und eine gesenkte. Dem entsprechen abstrakt die Linie und die Schrägen; der Kreis, der beide umschließt, stellt die Welt dar, für deren Bewahrung vor der totalen Vernichtung die Friedensbewegung eintritt. 

Dem Anti-Atomtod-Symbol ist eine gewisse Suggestivkraft nicht abzusprechen, die unbeschadet der Tatsache wirkt, daß der ursprüngliche Sinn nur wenigen bekannt und sowieso nur schwer erkennbar ist. Das hat immer wieder zu Fehlinterpretationen wie "gestürzter Mensch" mit ausgebreiteten Armen oder "Todesrune" (das heißt eine umgedrehte Man-Rune, wie sie in völkischen Kreisen für Inschriften auf Anzeigen oder Grabsteinen bis heute verbreitet ist) geführt. Gegen die Vitalität eines Symbols sprechen solche Mißverständnisse sowenig wie die Feindseligkeit, dem es begegnet, ganz im Gegenteil. In den USA waren Mitte der sechziger Jahre noch Schüler wegen des Tragens des Anti-Atomtod-Zeichens der Schule verwiesen worden, und zuletzt mußte der Supreme Court die prinzipielle Berechtigung durch ein Urteil feststellen. Im übrigen war die Ablehnung begründet in der Annahme der - wirklichen oder vermeintlichen - kommunistischen Unterwanderung der Friedensbewegung, hat aber bis heute auch zu tun mit dem Einfluß christlich-fundamentalistischer Kreise, die das Anti-Atomtod-Zeichen als "zerbrochenes Kreuz" oder als "Hexen-" beziehungsweise "Krähenfuß" - ein schwarzmagisches Symbol also - betrachten.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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