© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

DVD: Jacques Rivette
Kristallklar
Martin Lichtmesz

Jacques Rivette, Jahrgang 1928, hat nie den Berühmtheitsgrad seiner Freunde von der "Nouvelle Vague" erlangt. Das allerdings völlig zu Unrecht. Zusammen mit François Truffaut, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und dem etwas älteren Eric Rohmer bildete Rivette den harten Kern junger Cinephiler, die sich in der Zeitschrift Cahiers du Cinema für ein Kino der Autoren stark machten und dieses schließlich auch in die Tat umsetzten. Nach einem Zeugnis von Truffaut war Rivette "am wildesten entschlossen, zur Tat zur schreiten (...) In unserer Bande von Fanatikern war Rivette der fanatischte."

Rivette hat unbeirrt von wechselnden Moden ein außergewöhnliches und eigenwilliges Werk geschaffen, zuletzt drehte er "Ne touchez pas la hache" (Die Herzogin von Langeais, 2007) nach einer Novelle von Balzac. Der einst so experimentierfreudige Regisseur hat inzwischen zu einem unverkennbaren Stil gefunden, der an die Meister des frühen Stummfilms erinnert: wenige Schnitte, distanzierte Kamera, selten Großaufnahmen, Konzentration auf die Inszenierung des Raums und des Schauspiels, all das in einem langsamen, getragenen Duktus. Rivettes Filme gleichen luziden Träumen, selbst wenn sie einem völlig klar strukturierten Drehbuch folgen. Einfaches, kristallklares Kino zu machen, ist keine geringe Sache. In einer Formvollendung wie Rivette beherrschen das nur wenige. Nicht weniger schwierig ist es, das Alltägliche mit dem Geheimnisvollen zu verbinden. Rivette gelingt es: Seine Welten sind ebenso real wie magisch.

Zum 80. Geburtstag nun würdigt der Verlag Arthaus den stillen Künstler mit einer DVD-Edition, die vier Filme aus drei Jahrzehnten enthält. Warum gerade diese vier ausgewählt wurden, ist nicht unbedingt schlüssig. Erfreulich ist jedenfalls, daß diese selten gezeigten Arbeiten nun im Original mit deutschen Untertiteln erhältlich sind. Ein "Klassiker" ist zweifellos "Céline et Julie vont en bateau" (Céline und Julie fahren Boot, 1973). Diese kaum nacherzählbare "Geschichte" zweier Frauen und ihres Grenzgangs zwischen mysteriösen Parallelwelten ist mit Mitteln gedreht, die jedem Filmstudenten zur Verfügung stehen. Allein die ersten 45 Minuten, in denen während einer Verfolgungsjagd durch Paris (das wie stets bei Rivette merkwürdig entvölkert wirkt) kaum ein Wort fällt, gehören zum Faszinierendsten, was die Filmgeschichte zu bieten hat.

Eine dichte, unheimliche Atmosphäre zeichnet auch "Duelle" (Unsterbliches Duell, 1976) aus. In Gestalt normaler Alltagsmenschen bekämpfen sich gute und böse Geistwesen mit paranormalen Kräften. Der photographisch bestechend schöne und elegant inszenierte Film war einer von Rivettes größten Flops. Nichtsdestotrotz hat sich unter Cineasten der Ruf eines Geheimtips erhalten. "Merry-go-Round" (1981), eine Art postmoderner Kriminalfilm mit Maria Schneider ("Der letzte Tango in Paris") und Warhol-Ikone Joe Dallesandro in den Hauptrollen, ist dagegen doch eher eine Fußnote in Rivettes Werk - wenn auch keine schlechte.

Anders verhält es sich wiederum mit dem Meisterstück "Va savoir" (Va savoir - Keiner weiß mehr, 2001). Hier ist Rivette von seiner heiteren Seite zu erleben. Eine italienische Schauspieltruppe gastiert mit einem Stück von Pirandello in Paris. Camille, der Star der Truppe, gerät in die Versuchung, erneut mit ihrem Verflossenen, einen Heidegger-Forscher, anzubandeln, was die Eifersucht ihres Liebhabers und Regisseurs Ugo auf den Plan ruft. "Va savoir" ist eine erotische Komödie, die auch beim wiederholten Sehen nicht an Kraft und Witz verliert. Dazu tragen sicher auch die großartige Besetzung (allen voran Jeanne Balibar) und das brillante Drehbuch von Pascal Bonitzer und Christine Laurent bei.

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