© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

UMWELT
Atomarer Ökostrom
Volker Kempf

Wer Freilandeier kauft, fragt sich vielleicht manchmal, ob diese nicht doch mitunter aus der Käfighaltung stammen. Um selber die Kontrolle zu haben, ist nur eine Schwarzlichtlampe nötig. Denn ein Käfig hinterläßt beim Abrollen des Eis Rollspuren, die unter besagter Lampe sichtbar werden. Wie kontrolliert man aber, ob Ökostromanbieter wirklich "grünen" Strom liefern? Ganz einfach: Wenn ein Ökostromanbieter an der Börse konventionellen Atom- und Kohlestrom einkauft, kann etwas nicht stimmen. Die Financial Times Deutschland beobachtet die Börse genau, und siehe da: Ihr fiel am 12. Juni auf, daß der Ökostromanbieter "Lichtblick" konventionellen Strom einkaufte - und das seit Jahren. Dabei wirbt "Lichtblick" damit, ausschließlich Strom zu liefern, der nicht mit Atomenergie und Kohle erzeugt wurde. Auch wenn "Lichtblick"-Strom einen Reinheitsgrad von 98 Prozent erreicht, dann stimmt das eben nur fast mit dem überein, was den Kunden suggeriert wurde.

Aber Hand aufs Herz: Wen wundert das noch? In einem Land, in dem immer und immer wieder Gammelfleisch als Leckerbissen verkauft wurde, kann es nicht mehr überraschen, wenn auch einmal Atom- und Kohlestrom als lukrativer Ökostrom an den Mann oder die Frau gebracht wird. Strom ist schließlich farb- und geruchlos, da liegt die Versuchung nahe, es mit der Herkunft nicht so genau zu nehmen. Dumm nur für "Lichtblick", daß die Börse für sie gewissermaßen zur Schwarzlichtlampe wurde. Der Ehrliche ist eben nicht immer der Dumme, sondern manchmal auch der Unehrliche. Und das ist auch gut so. Damit das so bleibt, ist ein Journalismus wichtig, der nicht in politischer Propaganda, sondern im Durchleuchten von Ungereimtheiten seine Bestimmung sieht.

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