© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Längst ein Teil der Gesellschaft
Integration: Studie des Bundeskriminalamts registriert 55 Ehrenmorde in Deutschland / Erinnerung an den Fall Sürücü
Peter Freitag

Im Berliner Stadtteil Tempelhof wurde vergangene Woche eine Gedenktafel für Hatun Sürücü eingeweiht, die vor drei Jahren einem sogenannten "Ehrenmord" zum Opfer fiel. Die junge Kurdin, Mutter eines kleinen Kindes, war am  7.  Februar 2005 von einem ihrer Brüder auf der Straße mit drei Schüssen aus kurzer Distanz getötet worden. Motiv für das Verbrechen, das offensichtlich vorher in einem "Familienrat" beschlossen worden war, soll der zu stark den deutschen Verhältnissen angepaßte Lebenswandel der jungen Frau gewesen sein.

Erst vor wenigen Wochen geriet mit der Tötung der aus Afghanistan stammenden Morsal O. in Hamburg erneut ein Fall von "Ehrenmord" in die Schlagzeilen. Die 16 Jahre alte Schülerin war       mit zwanzig Messerstichen von ihrem älteren Bruder ermordet worden, weil ihm  der "westliche" Lebensstil des Mädchens nicht behagte. Morsal war zunächst zu erzieherischen Zwecken in die alte Heimat verbracht worden, wobei der von der Familie betriebene Versuch einer gesellschaftlichen Desintegration aus dem deutschen Umfeld offenbar mißlang.

Im Februar erst wurde in Mönchen­gladbach ein 39jähriger Türke zu lebenslanger Haft verurteilt worden, der seine Frau und die gemeinsame Tochter vor deren Wohnung erschossen hatte; das Motiv war auch hier "verletzte Ehre", nachdem die Frau den gewalttätigen Ehemann verlassen hatte.

Diese Beispiele bestätigen, was laut Bundeskriminaltamt (BKA) für sogenannte "Ehrenmorde" in Deutschland gilt: Sie werden fast ausschließlich "innerhalb von Migrantenfamilien, vorwiegend in Großstädten mit hohem muslimischen Einwohneranteil" begangen. Laut einer Studie des Instituts für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz sollen allein in Berlin in den letzten sechs Monaten des Jahres 2004 sechs Frauen durch "Ehrenmorde" ums Leben gekommen sein.

Da jedoch eine gesonderte Erfassung von "Ehrenmorden" in den polizeilichen Kriminalitätsstatistiken nicht erfolgt, liegen aktuelle gesicherte Fallzahlen nicht vor. Allerdings fand 2005 durch das BKA eine Erhebung zu polizeilich bekannt gewordenen "Ehrenmorden" (einschließlich versuchter Taten) statt, die für die Jahre 1996 bis Juli 2005 aussagekräftige Zahlen ergab. "Ehrenmorde" definierten die Kriminalisten demzufolge als "Tötungsdelikte, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der Familienehre gerecht zu werden", heißt es in der BKA-Studie.

55 Fälle registrierten die Beamten deutschlandweit im Beobachtungszeitraum; in 48 Fällen wurde die Tat vollendet, 22 waren versuchte Tötungshandlungen. Die Opferzahl von 70 Personen resultiert daraus, daß es in einigen Fällen zwei oder mehr Opfer gab. Bei ihnen handelt es sich in der Mehrzahl um weibliche Opfer, die männlichen seien in der Regel als für die "Entehrung" Mitverantwortliche (Geliebter, Freund) ermordet worden: "Dies spiegelt den klassischen Ehrenmord wider, bei dem die Ehre der Familie wiederhergestellt wird, indem die für die 'Entehrung' verantwortliche Frau verletzt oder gar tötet wird", so die BKA-Ermittler.

Eingeschränkt werde die Aussagekraft der Erhebung jedoch dadurch, daß Taten, die außerhalb Deutschlands begangen wurden, in der Statistik nicht berücksichtigt werden, selbst wenn die Ursachen für diese Taten in Deutschland liegen: "Im Zusammenhang mit Ehrenmorden wären hier Fälle denkbar, in denen die Ehrverletzung in Deutschland stattgefunden hat und die Tötung beispielsweise während eines Urlaubs im Ausland durchgeführt wurde." Die meisten Opfer (36) seien türkischer Nationalität gewesen, 18 Opfer waren Deutsche, wobei ein eventueller "Migrationshintergrund" nicht genannt wurde. Auch bei den Tätern handelt es sich hauptsächlich um Türken (50 Fälle). Weiter heißt es in der BKA-Untersuchung: "Bei allen 55 Fällen war eine vorausgegangene Ehrverletzung Motiv für die Tat. Die Ursachen für diese Ehrverletzung sind ... in der überwiegenden Zahl der Fälle (30) die beabsichtigte oder tatsächliche Trennung vom Partner. In elf Fällen war es die außereheliche Beziehung, in vier Fällen der westliche Lebensstil und in sieben Fällen eine nicht geduldete Beziehung."

Das Institut für Islamfragen nennt Ehrenmorde "eine vorislamische Praxis, charakteristisch für archaische, tribal organisierte Gesellschaften". Das häufige Vorkommen in Familien, die aus dem islamisch dominierten Nahen und Mittleren Osten stammen, sei dadurch erklärbar, daß "in islamisch geprägten Gesellschaften angestammte Ehrvorstellungen mit gesellschaftlich akzeptierten religiösen Werten eine enge Verbindung" eingingen, da auch der Koran zahlreiche Vorschriften für das sittsame Verhalten der Frau enthalte, die mit noch älteren Überlieferungen übereinstimmten. Die eigenmächtige Tötung durch die eigene Familie erfolge als Bestrafung für das Abweichen von den überlieferten Normen. Oberstes Ziel sei dabei, einen Gesichtsverlust zu vermeiden und die Ehre der Familie zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen.

Hierzulande wird man sich offenbar an diese für westliche Staaten und Völker befremdliche und abstoßende Praxis gewöhnen müssen: "Ehrenmorde sind als Folge der Migration bestimmter ethnischer Gruppen Bestandteil des Kriminalitätsgeschehens und damit der Gesellschaft in Deutschland geworden", heißt es recht lapidar am Schluß des BKA-Gutachtens.

Foto: Trauer um Ehrenmord-Opfer Sürücü: Tatort Migrantenfamilie

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