© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Berlin 08 - Festival für junge Politik: "Fette Beats" gegen Politikverdruß
Am linken Rand
Toni Roidl

Politikverdrossenheit" war bereits 1992 das Wort des Jahres. Seitdem ist es nicht besser geworden: Den Parteien entrinnen die Mitglieder wie Sand in der Uhr; bei den Wahlen bleiben immer mehr Wähler zu Hause - zuletzt in Schleswig-Holstein mehr als die Hälfte! Höchste Zeit also, dieser Gefahr für die Demokratie entgegenzutreten und wenigstens die Jugendlichen aktiv zu politischem Interesse und Engagement zu ermutigen. Darum veranstalten das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Bundeszentrale für politische Bildung und der Deutsche Bundesjugendring das Jugend-Politik-Festival Berlin 08.

Vom 13. bis 15. Juni 2008 werden einige tausend Jugendliche aus ganz Deutschland rund um das Jugend- und Familienzentrum FEZ an der Berliner Wuhlheide erwartet. Auf elf Podien diskutieren Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur mit Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren über aktuelle Gesellschaftsthemen. Insgesamt werden über vierhundert Einzelkurse angeboten.

Zerstreuung von der vielen Politik bietet das Rahmenprogramm mit Sport und Musik. Live spielen unter anderem Wir sind Helden, die Indie-Rocker Madsen, Viva-Dauergast Miss Platnum sowie Culcha Candela ("Hamma").

Das läßt sich der Staat was kosten: Das Bundesfamilienministerium gibt fünf Millionen Euro. Staatssekretär Gerd Hoofe erklärt: "Hier sollen Engagement und Spaß zusammenkommen. Denn Jugendliche, die sich schon jetzt aktiv einsetzen, engagieren sich auch als Erwachsene gesellschaftlich."

In welche Richtung dieses Engagement nach Hoofes Willen gehen soll, kann man sich denken, kommen die Träger der Bildungsangebote doch überwiegend vom linken Rand: Neben der DGB-Jugend, Pro Asyl, der Sozialistischen Jugend Deutschlands (Falken) etc. gibt auch die autonome Antifa der "AG Jugendträume Dessau" gleich vier "Workshops". Der Inhalt ist nicht schwer zu erraten: In ihrem Bericht "Nazis in die Schranken weisen" schwärmen die Sturmhaubenträger von wilden Straßenschlägereien bei Demos und schreiben: "Parlamenten und Bullen nicht vertrauen!!! ... Bidet Banden und organisiert den antifaschistischen Selbestschutz!!!" (Orthographie im Original). Schön, wenn so kompetente Demokraten an der politischen Willensbildung mitarbeiten.

Und Demokraten müssen junge Leute vor politischem Extremismus warnen. Erwartungsgemäß ist das hier eine Einbahnstraße. Wenigstens muß man den Organisatoren zugute halten, daß sie durchgehend von "Rechtsextremismus" sprechen statt von "gegen Rechts". Und es ist beinahe rührend: Neben den 27 Seminaren zum Rechtsextremismus gibt es sage und schreibe ein Angebot zum Thema Linksextremismus. Doch, wirklich! Sebastian Duwe stellt am Beispiel von Heiligendamm die Frage, ob militante Globalisierungskritik von links ein Angriff auf die deutsche Verfassung ist.

Seit Kochshows im Fernsehen der Renner sind, kommt auch eine politische Gesprächsrunde nicht mehr ohne Töpfe und Pfannen aus: Und so werden Bundesparlamentarier beim Kochen mit Jugendlichen über Demokratie plaudern. Wenn die dabei mal nicht anbrennt! Kai Gehring (Grüne) backt für seine jungen Gäste "Studienplätzchen". Tja, wenn das so einfach wäre.

Der Frage nachgehen, wieviel 68er-Geist in einem steckt

Globalisierung, Klimawandel und Rassismus sind Top-Themen. Mit Rassismus sind natürlich nicht die "Scheiß-Deutscher"-Beschimpfungen arabischer Jugendgangs gemeint, sondern die deutschen Spießer. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) lädt ein.

Andererseits gibt es aber auch anerkennenswerte Inhalte: zum Beispiel die Angebote, die den Jugendlichen erklären, was ihr Einkaufsverhalten mit dem Weltmarkt zu tun hat und wer eigentlich ihre schicken Turnschuhe näht - und zu welchen Arbeitsbedingungen. Wenn die jungen Konsumenten hier sensibilisiert werden, ist das viel wert. Auch die Kritik an der Eroberung des öffentlichen Raums durch Reklame hat durchaus Berechtigung. Bei den Exkursionen auf den Spuren Berlins als Hauptstadt der DDR kommt es darauf an, ob hier die SED-Diktatur nur als knuffige "Sonnenallee"-Idylle vorkommt oder ob die jungen Teilnehmer beispielsweise auch etwas über den 17. Juni erfahren.

Spannend wird's auch beim "Talk" zum Thema "Politische Jugend 1968 und heute": "Waren die Jugendlichen 1968 abgedrehte Flowerpower-Hippies oder dogmatische Ideologen?" Das Programm wirbt: "Hier könnt ihr der Frage nachgehen, wieviel 68er-Geist in euch steckt!" Leicht zu ahnen, was Juso-Moderatorin Franziska Drohsel den "Kids" bescheinigen wird. Ob der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, dazu auch den Mund aufkriegt?

Foto: Miss Platnum ("Mercedes Benz"): Skeptischer Blick der in Berlin lebenden, in Rumänien geborenen Sängerin

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