© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Bequemlichkeit
Karl Heinzen

Die Studierenden an Deutschlands Hochschulen sind heute, so hat eine vom Automobilzulieferer Continental in Auftrag gegebene Umfrage ergeben, so optimistisch wie selten zuvor. Hielten es im Jahr 2003 lediglich 63 Prozent von ihnen für vorstellbar, daß sie berufliche Erfolgsaussichten haben, so werden unterdessen bereits 75 Prozent von diesem Glauben beseelt.

Die heitere Stimmung ist natürlich insbesondere der guten Konjunktur geschuldet. Zahlreiche Unternehmen klagen darüber, daß sie für anspruchsvolle Tätigkeiten nicht über qualifizierte Bewerber in ausreichender Zahl verfügen, und nähren beim akademischen Nachwuchs auf diese Weise die Hoffnung, dereinst zwischen lukrativen Stellenangeboten auswählen zu können, sofern der Studienabschluß noch rechtzeitig vor dem nächsten Abschwung hinter sich gebracht werden kann. Darüber hinaus meinen viele junge Menschen, wenigstens auf dem Arbeitsmarkt vom demographischen Wandel profitieren zu können. Da die wachsende Zahl von Alten, die sich aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand verabschieden, nicht allein durch Zuwanderer kompensiert werden kann, dürfen sich selbst Nachwuchskräfte mit bescheidenem Ausbildungsniveau gewisse Chancen ausrechnen.

Wer sich seiner Sache sicher wähnt, erliegt jedoch nur zu oft der Versuchung, die Zügel schleifen zu lassen, und dies gilt um so mehr für die Angehörigen einer jungen Generation, die vielleicht nicht mehr den Sozialstaat von einst ersehnt, aber letztlich doch zurück zu der erst vor gar nicht so langer Zeit überwundenen und in den privaten TV-Sendern immer noch nachhallenden Spaßgesellschaft will. Es überrascht daher nicht, daß die Continental-Umfrage nicht nur den Optimismus, sondern auch die Bequemlichkeit der Studenten im Wachstum begriffen sieht: Die Bereitschaft, für weniger Geld mehr zu arbeiten und den Mobilitätswünschen von Arbeitgebern bedingungslos Folge zu leisten, ist dramatisch eingebrochen. Manche junge Menschen neigen unterdessen sogar dazu, ihre berufliche Karriere der Familienplanung unterzuordnen.

Die Unternehmen müssen somit auf der Hut sein, daß mit einer neuen Generation von Beschäftigten nicht auch ein neues Anspruchsdenken Einzug hält. Die gute Konjunktur darf sie nicht dazu verleiten, um flüchtige Popularität heischend Arbeitsplätze zuhauf zu schaffen. Sie sollten vielmehr in bewährter Weise danach trachten, Rationalisierungspotentiale zu erschließen, um durch Stellenabbau wieder jene Existenzängste zu schüren, ohne die keine Marktgesellschaft auskommen kann.

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