© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Die größte Herausforderung der Menschheit
FAO-Konferenz: Der momentane Mangel an Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln wird keine temporäre Erscheinung bleiben
Harald Ströhlein

Angesichts der weltweit steigenden Nahrungsmittelpreise genoß die jüngste Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno (FAO) vergangene Woche in Rom besondere mediale Aufmerksamkeit. Die UN-Organisation will 17 Millionen Euro zur Finanzierung von Notstandsmaßnahmen zur Verfügung stellen. So sollen kleine Bauern in den ärmsten Ländern Saatgut und Düngemittel zur Produktionssteigerung erhalten.

"Wir rufen alle Geberländer und das System der UN dazu auf, ihre Hilfe für Entwicklungsländer zu verstärken, besonders in den am wenigsten entwickelten und am meisten von den hohen Nahrungsmittelpreisen betroffenen Ländern", hieß es in der gemeinsamen Abschlußerklärung. Ein "Globaler Aktionsrahmen" soll bis 2030 zu einer Steigerung der Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent führen.

Grundnahrungsmittel sind 80 Prozent teurer geworden

Doch im Grunde genommen dürfte keiner der 500 Konferenzteilnehmer aus 181 Ländern überrascht gewesen sein. Daß sich der Kampf um das tägliche Brot forcieren wird, war abzusehen. Weltweit hungern heute über 862 Millionen Menschen. Jährlich wächst diese Menge in einer Größenordnung, die etwa der Berliner Stadtbevölkerung entspricht. Selbst in den USA, die beileibe nicht zu den ärmsten Ländern der Erde zu zählen sind, können sich de facto fast 30 Millionen Bürger nicht ausreichend Nahrungsmittel leisten. Und in mehr als 30 Ländern brodelt es ernsthaft angesichts akuter Preiserhöhungen bei Lebensmitteln.

In der Tat sind Grundnahrungsmittel teuer geworden. In den vergangenen drei Jahren sollen die Preise weltweit mehr als 80 Prozent gestiegen sein. Glaubt man Prognosen, werden die ohnehin schon verteuerten Preise für Futtermittel zur Fleischerzeugung in absehbarer Zeit um 600 Prozent nach oben schnellen, was zur weiteren Verteuerung führen wird.

Die Gründe für dieses durchaus realistische Horrorszenario liegen auf der Hand und sind vielfältiger Natur. Natürlich hat sich der Nahrungsmittelbedarf angesichts der exponentiell wachsenden Menschheit und sich ändernder Konsum­ansprüche sowie erwachter Kaufkraft in neureichen Entwicklungsländern wie etwa China erhöht. Ebenso gilt dies für den Bedarf an Energie, ohne die nun einmal kein Feld zu bestellen und kein Schwein zu mästen ist.

Insofern erinnert der Konflikt, unsere gängigen Nutzpflanzen und damit den Nutzwert des Bodens, der im übrigen seinerseits zum knappen Gut werden wird, für den Teller oder für den Tank verwenden zu wollen, an Abzugschach. Mißernten in den vergangenen Jahren just in den dominanten Agrarstaaten verschärfen diese Situation noch mehr.

Darüber hinaus jedoch erweist sich aus heutiger Sicht der seit Jahrzehnten eingetretene Pfad der Tugend, nämlich die im Norden zuhauf produzierten, weil subventionierten Agrargüter in den Süden zu exportieren, als eine verhängnisvolle Einbahnstraße. Derart am Tropf hängend, sahen jene Entwicklungsländer nicht im geringsten die Maßgabe, sich disziplinarisch auf eigene Beine stellen zu müssen und das Vieh im eigenen Stall zu melken.

Doch jetzt, in Zeiten leerer Getreidelager, fehlender Butterberge und vertrockneter Milchseen, sind die einst vermeintlich honorigen Quellen versiegt. Analog wird die explizit für den Agrarsektor ausgerichtete Entwicklungshilfe seit Jahren kontinuierlich eingefroren. Seit einem Vierteljahrhundert ist der Geldsegen aus den reichen Nationen um mehr als zwei Drittel auf nunmehr noch gut zwei Milliarden Dollar geschwunden. Es ist den Entwicklungsländern deshalb in puncto Autarkie kein Unvermögen zu attestieren, gleichwohl es kein Zufall sein kann, daß gerade in den 50 ärmsten Ländern Korruption und Mißwirtschaft dank totalitärer Regimes vorherrscht.

Es gibt kein Patentrezept gegen den Welthunger

Die vielfältigen Hintergründe für das vorhersehbare Kapitalproblem der Menschheit lassen befürchten, daß es ein Patentrezept gegen die global alimentäre Not so nicht gibt. Natürlich werden die reichen Industrienationen ungeheure Investitionen für die direkte Ernährungshilfe leisten und in den Ländern des Südens eine effiziente sowie nachhaltige Landwirtschaft etwa über die Etablierung einer Agrarausbildung oder -infrastruktur sicherstellen müssen.

Gleichermaßen wird es aber darauf ankommen, daß die landwirtschaftliche Erzeugung in den typischen Agrarländern noch intensiver als bisher ihre Ressourcen - unter Beachtung der Nachhaltigkeit und Tiergerechtheit - wird nutzen müssen. Extensive Bewirtschaftungsformen jeglicher Couleur sowie das Verbrennen von Getreide für die Energiegewinnung werden aufgrund der begrenzten Bodenverfügbarkeit - wenn überhaupt - nur als Nischenproduktion und in Abhängigkeit des Standortes geduldet werden.

Steht vor allem der effiziente Einsatz von Energie und Nährstoffen für die Erzeugung von Nahrungsmitteln im Fokus, wird in nicht mehr allzu ferner Zeit auch die Sinnhaftigkeit der "tierischen Veredelung" zu hinterfragen sein und der Mensch möglicherweise in letzter Konsequenz entsprechende Nutzpflanzen als direkte Eiweißquellen präferieren.

Nicht zuletzt durch sich ändernde Produktionsbedingungen aufgrund des Klimawandels wird die Agrarforschung einer bis dato unvorstellbaren Herausforderung unterliegen. Zwangsläufig ist neben einer Intensivierung bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln nicht zuletzt auch wegen eines sich ändernden Temperaturniveaus mit einer Zunahme von Krankheiten und Schädlingen sowie deren Neuvarianten zu rechnen. Um aber einen ökologischen Kollaps durch einen damit verbundenen Düngemittel-, Pflanzenschutz- und Medikamenteneinsatz zu umgehen, ist die Beschreitung neuer Wege unausweichlich. Die Genforschung und vor allem die Gentechnik werden dann nicht mehr zu negieren sein.

Denn wie man heute schon weiß, wird die konventionelle Landwirtschaft bis 2030 ihre Produktion in einem entsprechenden Kraftakt nochmals um die Hälfte steigern können, dann aber an ihre Grenzen stoßen. Doch bis dahin wird der Bedarf an Lebensmitteln um 60 Prozent gestiegen, die Menschheit pro Jahr etwa um 80 Millionen gewachsen und der magischen Neun-Milliarden-Grenze näher gekommen sein. Und bis dahin wird die Nahrungsmittelproduktion mehr denn je von der fortschreitenden Klimaerwärmung, Wasserverknappung, Wüstenbildung sowie Energiemangelversorgung betroffen sein. Es wäre ein Wunder, wenn es anders käme.

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