© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Jürgen Rüttgers' Bollwerk
Nordrhein-Westfalen: Zielstrebig hat der selbsternannte Arbeiterführer die Herrschaft der CDU an Rhein und Ruhr ausgebaut
Paul Rosen

Er hält sich für den letzten Arbeiterführer, und sein Bollwerk soll Nordrhein-Westfalen sein. Jürgen Rüttgers hat in nicht einmal vier Jahren Regierungszeit im bevölkerungsreichsten Bundesland eine doppelte Wende geschafft: Die fast vier Jahrzehnte dauernde sozialdemokratische Ära ist vergessen. Und aus dem einstigen Bonner "Zukunftsminister", den man auch den "Mann für morgen" nannte, ist ein Verteidiger des alten Sozialstaates und der sozialen Marktwirtschaft geworden. Die CDU Nordrhein-Westfalens erscheint wie ein Relikt in einer auf Neoliberalismus reduzierten bürgerlichen Welt.

Allerdings macht der personelle Verfall des deutschen Parteiensystems auch vor der nordrhein-westfälischen CDU nicht halt. Ihre Mitgliederzahl sank von 180.000 im Jahre 2005 auf inzwischen 167.100. Die noch schnellere Abnahme bei der anderen Volkspartei SPD ließ die Rüttgers-CDU jedoch zur stärksten politischen Kraft in NRW werden. Die Genossen liegen heute mit 145.000 Mitgliedern weit hinter den regierenden Christdemokraten.

Die Zeiten, als Hermann Heinemann Chef der Dortmunder Westfalenhalle und des SPD-Bezirks Westliches Westfalen war und das Ruhrgebiet wie ein Fürstentum regierte, sind vorbei. Gegen Heinemanns Willen wurde damals an der Ruhr kein Schulhausmeister eingestellt. Heute werden die Schulen von Reinigungsfirmen betreut und die Westfalenhalle von einem Manager geleitet. Der sozialdemokratische Stallgeruch im Ruhrgebiet ist verschwunden wie der Qualm aus den Schornsteinen geschlossener Industriebetriebe.

Das heißt nicht, daß aus dem erst nach dem Zweiten Weltkrieg aus den preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland sowie dem Fürstentum Lippe von der britischen Besatzungsmacht gebildeten Kunstland jetzt eine starke christdemokratische Festung geworden wäre. Rüttgers kam 2005 nicht aus eigener Kraft seiner CDU, sondern durch die Schwäche der rot-grünen Koalition in Berlin an die Macht. Die Voraussetzungen waren nicht die besten: Der Wunsch-Koalitionspartner FDP schwächelte nach dem Skandal um den Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann, der den Freitod suchte. Möllemann hatte bei der Landtagswahl 2000 9,8 Prozent geholt. Die Liberalen schafften 2005 dann 6,2 Prozent. Von vornherein hatte Rüttgers aber auf Distanz zur eigenen Parteiführung gesetzt. Schon 2004 forderte er eine "Generalrevision" der von der CDU mitbeschlossenen Hartz-Gesetze. Die steuerpolitischen Vorstellungen der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel geißelte er als "Lebenslüge". Steuersenkungen würden keine Arbeitsplätze schaffen, so Rüttgers.

Die CDU bestand immer aus zwei Lagern

Das war ein riskantes Spiel. Denn auch im eigenen Landesverband hatte der aus dem Rheinland stammende Rüttgers nicht nur Freunde. Die CDU in Nordrhein-Westfalen bestand immer aus zwei Lagern, die sich spinnefeind waren: einerseits die großstädtisch-modernen Rheinländer und andererseits die bodenständigen und katholisch-konservativen Westfalen. Schwere Wahlniederlagen führten dazu, daß die beiden Landesverbände 1986 fusionieren mußten. Der erste Vorsitzende und Helmut-Kohl-Feind Kurt Biedenkopf wurde schnell durch Norbert Blüm ersetzt. Kohl konnte den intelligenteren Biedenkopf nicht ertragen, dem erst wieder mit der Einheit 1990 die Rückkehr auf die politische Bühne gelang. Mit Blüm fiel die CDU NRW in eine Art Dämmerschlaf, der erst endete, als Rüttgers 1999 Vorsitzender wurde.

Die Kommunalwahlen 1999 hatten der CDU einen phänomenalen Sieg in Städten und Kreisen beschert (50,9 Prozent) und zur Steigerung der Kampfkraft beigetragen. Grund waren massive Steuererhöhungen der rot-grünen Koalition und Projekte wie Homo-Ehe und doppelte Staatsbürgerschaft. Selbst das als uneinnehmbar geltende Rathaus von Gelsenkirchen wurde erobert. 2004 erhielt die CDU auf kommunaler Ebene immerhin noch 45,5 Prozent und ließ damit die SPD (30,1) erneut weit hinter sich.

Die Landtagswahl 2005 brachte 44,8 Prozent und damit genug, um zusammen mit der FDP Rot-Grün abzulösen. Rüttgers hatte sich inzwischen konsequent von den fortschrittlichen Kräften weggedreht und die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt. "Wir brauchen keinen Ruck in diesem Land, wir brauchen nicht den Umsturz aller Systeme, um uns der Globalisierung zu stellen", sagt er immer wieder. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere geht auf sein Konto. Mit seinem Sozialminister Karl-Josef Laumann hat er einen würdigen Blüm-Nachfolger im Kabinett. Aber andererseits hält sich Rüttgers mit Armin Laschet einen Integrationsminister, den konservative CDU-Mitglieder eher bei den Grünen ansiedeln würden.

Rüttgers erfuhr auch - unbeabsichtigt - Rückenwind aus Berlin. 2002 sägte Angela Merkel seinen landesinternen Konkurrenten Friedrich Merz ab, der im Bundestag Fraktionsvorsitzender war. Merz, ein schnell beleidigter und nachtragender Mensch, hat die Schmach nie verwunden. Damit verlor der wirtschaftsliberale Flügel in NRW seinen mächtigsten Vertreter, und die Westfalen verloren mit dem Sauerländer Merz eine Integrationsfigur, der mit dem Leitkultur-Begriff die Konservativen bestens bedient hatte. Seitdem ist es ruhig an der landsmannschaftlichen Sollbruchstelle der nordrhein-westfälischen CDU - zum Vorteil von Rüttgers.

Der Landesvater schmeichelte gelegentlich auch den Katholiken in der Partei, deren Konfession er einmal als "überlegen" bezeichnete. Doch auch in Westfalen sind die alten Milieus kleiner geworden. Das früher schwarze Münster hatte schon einen SPD-Oberbürgermeister, und im einst tiefschwarzen Paderborn regiert die CDU im Stadtrat gerade noch mit einer Stimme Mehrheit.

Rüttgers sollte einst unter Kohl die Grundlagen für die CDU als moderne Großstadtpartei mitentwickeln. Daraus wurde nichts, wenn man von der Personalie Laschet absieht. Jetzt versucht er es mit einem sozialpolitischen Linkskurs. Gleichzeitig schrumpfen die alten Milieus - die katholischen, die mittelständischen und die der Arbeiter. Überall lockern sich die Bindungen an die CDU. Die Wahlenthaltung wächst. Und wer die Wahlergebnisse richtig zu lesen weiß, sieht, daß kleine Parteien an den Rändern massive Zuwächse haben.

Eine Niederlage Merkels bei der Bundestagswahl 2009 könnte Rüttgers jedoch nichts anhaben. Tief im Westen wird erst wieder 2010 gewählt, und gegen Berlin läßt sich bestens Wahlkampf machen.

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