© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

Politische Schönfärberei
Arbeitsmarkt: Die Statistiken der Bundesagentur sind nur bedingt aussagefähig / Fünf Millionen Erwerbslose
Michael Mayer

Vorigen Donnerstag meldete die Bundesagentur für Arbeit (BA) neue Erfolgszahlen: Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland sei im Mai um 131.000 auf 3,283 Millionen gesunken. Die Arbeitslosenquote sank von 8,1 auf 7,8 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lag die Erwerbslosenzahl um 529.000 niedriger.

"Die Zahl der Arbeitslosen ist gegenüber dem Höchststand unter Rot-Grün um zwei Millionen zurückgegangen", erklärte dazu euphorisch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. "Der eingeschlagene Kurs der unionsgeführten Bundesregierung ist erfolgreich und muß fortgesetzt werden." Anläßlich der BA-Zahlen von April versprach der rheinische Sozialpädagoge sogar: "Die CDU hält am Ziel der Vollbeschäftigung fest."

Doch Pofallas "großartige Botschaft" ist zu einem Großteil statistischen Tricks geschuldet. Das behauptet nicht nur die Bundestagsopposition von FDP bis Linkspartei, sondern das sagt die BA-eigene Forschungseinrichtung, das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). "Momentan sind etwa eine Million Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen", verriet IAB-Direktor Joachim Möller in der Süddeutschen Zeitung.

Diese Zahl müßte man eigentlich zu den 3,3 Millionen offiziell arbeitslos Gemeldeten hinzurechnen. Zudem gibt es noch Personen, die nicht arbeitslos gemeldet sind, die aber gerne arbeiten würden: "Wir schätzen diese sogenannte stille Reserve auf etwa 625.000. Wenn man das alles zusammenzählt, kommt man in Deutschland auf gut fünf Millionen Menschen, die gerne arbeiten würden", so Möller. Schon unter der Bundesregierung von Helmut Kohl sei die Statistik schöngerechnet worden.

Unter der Großen Koalition fallen künftig "Langzeitarbeitslose über 58 Jahre aus der Arbeitslosenstatistik, wenn ihnen nicht innerhalb eines Jahres ein konkretes Jobangebot gemacht werden kann. Das sind Entscheidungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Da wird in der Tat an der Statistikschraube gedreht", so der IAB-Ökonom. Die BA hält sich bei der Ermittlung ihrer Zahlen an das Sozialgesetzbuch. Das unterscheidet zwischen "arbeitslos", "arbeitsuchend" und "beschäftigt". So gilt ein Erwerbsloser, der von "Stütze" lebt, aber dazu eine Aushilfs­tätigkeit von maximal 14 Stunden pro Woche ausübt, statistisch nicht mehr als "arbeitslos". Auch Angestellte mit befristeten Verträgen, die nach einer neuen Stelle suchen, sind per Definition nicht "arbeitslos", sondern "arbeitsuchend".

Erwerbslose, die mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten, aber nicht von ihrem Lohn leben können, fallen nicht in die Kategorie "arbeitslos", sondern sie sind lediglich "arbeitsuchend". Sie erhalten dennoch Arbeitslosengeld II (ALG II/Hartz IV), man nennt sie "Aufstocker". Ebenfalls keine Arbeitslosen sind die "Ein-Euro-Jobber" sowie die zahlreichen Teilnehmer der staatlich finanzierten - aber oft fragwürdigen und für den Steuerzahler teuren - Weiterbildungs- oder Trainingsmaßnahmen.

Im Februar dieses Jahres hatten laut BA-Angaben 287.900 ALG-II-Empfänger einen "Ein-Euro-Job". 35.300 Erwerbslose waren in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM), und bei 198.000 wurde der Weg in die Selbständigkeit (früher "Ich-AG") gefördert. 143.000 Menschen steckten in Qualifizierungsmaßnahmen, und 266.000 Arbeitslose wurden dauerhaft aus der Statistik ausgegliedert, weil sie über 58 Jahre alt waren. So setzt sich die vom IAB-Chef genannte zusätzliche Million Arbeitslose zusammen, die Politiker gern verschweigen. Zählt man zu den Empfängern von Arbeitslosengeld I und II noch die sogenannten Aufstocker hinzu, kommt man auf noch höhere Zahlen als die fünf Millionen vom IAB bestätigten Arbeitslosen.

Laut BA-Angaben erhielten Ende 2007 insgesamt 1.289.066 Erwerbstätige steuerfinanzierte ergänzende Hartz-IV-Leistungen. Die Zahl der "vollzeitnahen Aufstocker" (ab etwa 800 Euro Monatslohn, je nach Region und Bundesland etwas unterschiedlich) lag bei 374.000. Die Zahl der "Minijobber" unter den Aufstockern (bis 400 Euro Lohn) lag bei 684.000. Im Vergleich zu 2005 ist die Gesamtzahl der Aufstocker laut BA um 36 Prozent gestiegen.

Die hohe Zahl der Aufstocker im Niedriglohnbereich ist auch ein ganz konkretes Problem für den Steuerzahler und die Sozialversicherungen. Denn wenn sich Arbeitgeber und -nehmer "einig" sind, können sie den Staat abzocken: Der Chef zahlt einen Lohn von fünf Euro, das ist nicht sittenwidrig. Das ergibt für eine Vollzeittätigkeit etwa 800 Euro brutto. Den Rest holt sich der Arbeitnehmer bei der BA: Einem Familienvater mit Frau und zwei Kindern stehen je nach Wohnort etwa 1.800 Euro ALG II (Regelleistungen plus Kosten für Unterkunft und Heizung) zu. Abzüglich der etwa 700 Euro Nettolohn muß der Steuerzahler 1.100 Euro draufzahlen.

Dies belastet vor allem die Kommunen und Landkreise, die für Hartz IV zuständig sind. Laut Berechnungen des Deutschen Landkreistages (DLT) lag die Zahl der von ALG-II-Leistungen Abhängigen 2007 bei etwa 7,4 Millionen. Doch nur etwa 2,5 Millionen davon waren bei der BA als "arbeitslos" registriert. Kranke oder Ausbildungsplatzsuchende finden sich ebenfalls nicht in der Statistik, obwohl sie auf den Steuerzahler angewiesen sind.

Auch bei der Zahl der offenen Stellen in Deutschland hatte das IAB vorige Woche wenig Erfreuliches zu berichten: Sie sank im ersten Quartal 2008 auf 1,14 Millionen. Das waren etwa 250.000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Und nicht einmal die Hälfte der freien Stellen war bei der BA gemeldet. Kein Wunder - denn die einstigen Arbeitsämter, die sich seit Rot-Grün "Agenturen" nennen, waren nur zu etwa zwölf Prozent an den Wiedereinstellungen beteiligt. Die meisten ergriffen lieber Eigeninitiative.

Daß es dennoch viele unbesetzte Stellen gibt, hat unter anderem zwei Ursachen: Die gutbezahlten Angebote richten sich oft an wenige hochqualifizierte Fachkräfte. So wurden Ende 2007 55.000 Ingenieure und 13.300 Programmierer gesucht. Auf der anderen Seite gab es vor allem Angebote für Leiharbeit, Teilzeit oder solche Stellen mit so niedrigen Löhnen, daß weiter Anspruch auf Hartz IV besteht.

Abbildung: Schlange vor Arbeitsagentur: Getürkte Zahlen

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