© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Viele Völker vom Meer geteilt
Malaysia im Porträt
Werner Olles

Seit mehr als drei Jahrzehnten bereist der Publizist Rüdiger Siebert Süd- und Südostasien. Nun stellt der profilierte Kenner dieser Region mit dem Buch "Vision Malaysia" ein weltgeschichtlich einzigartiges Land an der Schnittstelle zwischen Ost und West vor, dessen Grenzen einst willkürlich von den Europäern gezogen wurden. Zweigeteilt durch das südchinesische Meer präsentiert der Vielvölkerstaat Malaysia einen Bevölkerungs-Mix von Malaien, Chinesen, Indern, Dayak-Völkern, Eurasiern und anderen Minderheiten. Und während auf der Insel Borneo die Nachkommen von Kopfjägern leben, geben in West-Malaysia Computer-Spezialisten den Ton an.

Doch trübt auch hier zunehmend der dominierende Islam das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen wie Konfuzianismus, Buddhismus, Hinduismus, Christentum und animistischer Stammesreligionen. Die einflußreichen Imame und Muftis, deren Vertraute in allen wichtigen Behörden sitzen, haben für Muslime landesweit die Scharia durchgesetzt. Zwar konnten sie ihr erklärtes Ziel, ganz Malaysia zu einem Gottesstaat zu machen, offiziell bislang noch nicht erreichen, doch die Islamisierung der Gesellschaft ist bereits weit vorangeschritten.

Der Islam wird als Korrektur eines Ungleichgewichts und als Reaktion auf den hegemonistischen Einfluß wahrgenommen, den die dominante westliche Kultur bezüglich Hedonismus, Kapitalismus und Verbrauchermentalität über viele Jahre verbreitet hat. Ein "Schmelztiegel der Kulturen" oder gar ein "Modell für Multikulti", von dem manche naive Europäer immer noch träumen, ist Malaysia allerdings nicht. Der Rückzug in die eigene Gruppe, Rasse oder Religion ist typisch für die Ethnien Malaysias. Ein Grund auch, weshalb die Religionszugehörigkeit eine so große Bedeutung hat und Atheisten nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Tatsächlich wird auch die wechselvolle Geschichte Malaysias je nach Zugehörigkeit zur eigenen Volksgruppe oder Religion wahrgenommen. Im Weltbild der Muslime werden die indischen Fundamente der malaiischen Entstehungsgeschichte entweder ignoriert oder tabuisiert, die von Indien mitgestaltete Vergangenheit ist erfolgreich abgetan, verdrängt und ausgelöscht worden und wird aus Angst vor einem Wiederaufleben des Hinduismus und Buddhismus in den Schulbüchern nicht mehr erwähnt. Nach muslimischer Lesart darf Malaysias Geschichte und Kultur erst mit der Ankunft des Islam beginnen.

Rüdiger Siebert: Vision Malaysia. Annäherungen an einen Vielvölkerstaat. Horlemann Verlag, Bad Honnef 2008, broschiert, 254 Seiten, 14,90 Euro

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