© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Billiges Bier am Tag der Arbeit
Kuba: Nach dem altersbedingten Rückzug von Fidel Castro steht das Land vor einer Zeitenwende / Große Hoffnungen, verbreitete Skepsis
Paul Leonhard

Nicht einmal zwei Stunden dauert diesmal die große Kundgebung am Platz der Revolution in Santiago de Cuba. Um 8.20 Uhr ist alles vorbei. Die meisten Werktätigen haben es offenbar vorgezogen, auszuschlafen. Denn der 1. Mai ist - seit Castros Revolutionäre vor fast einem halben Jahrhundert alle katholischen Feiertage annullierten - im sozialistischen Kuba einer von lediglich zwei arbeitsfreien Werktagen im Jahr. Zur Demonstration sind vor allem Staatsdiener, im Tourismus Beschäftigte, Internatsschüler und ausländische Studenten erschienen. Und wer sich zumindest sehen lassen muß, steht am Rand, schwenkt Fähnchen oder hält ein Schild hoch: "Viva Fidel y Raúl".

Das Bemerkenswerte an der diesjährigen Mai-Demo ist, daß die einstudierten KP-Reden beinahe von den per Tonband eingespielten afro-kubanischen Klängen übertönt werden. Dem Rhythmus der Trommeln und ihren schrillen Fanfaren vermag kein Kubaner zu widerstehen. So schunkelt der Demonstrationszug hinternwackelnd im Conga-Schritt an der Funktionärstribüne vorbei.

Der Tag der Arbeit ist in Kuba vor allem ein grandioses Besäufnis. Überall in der Stadt wurden bereits Tage zuvor große Stahlbehälter aufgestellt, aus denen dann Billigbier ausgeschenkt wird. Und es ist der Tag der Kleinkapitalisten. Hunderte Stände mit Schweinefleisch, belegten Brötchen, Tropfpizzas, Süßigkeiten oder Ketten säumen die Straßen. Einige Männer führen ganze Beutel voll leerer Zwei-Liter-Limonaden-Flaschen mit sich. "Die lassen sich die Flaschen mit Bier füllen und verkaufen sie abends, wenn das staatliche Bier alle ist, mit kräftigen Aufschlag an die Durstigen", erläutert der Arzt Rolando.

Den Mediziner, der an der Universität von Santiago lehrt, amüsiert der Geschäftssinn seiner Landsleute. Was ihm Sorgen bereitet, ist das zunehmende Phlegma der Studenten. Auch Jesús, ein Physikprofessor mit DDR-Erfahrung und langen Jahren Berufsverbot, kann bei seinen Studenten kaum Enthusiasmus erkennen. Die Vorlesungen würden geschwänzt, Seminararbeiten nur halbherzig gemacht. Statt dessen konzentrieren sich die jungen Leute auf Straßengeschäfte und betteln Touristen an.

Es gehe nur noch darum, schnell an Devisen heranzukommen, sagt Jesús. "Unsere Gesellschaft steht kurz vor einem gravierenden Umbruch", fügt Rolando hinzu. "Statt daß die Studenten versuchen, sich auf die künftigen Herausforderungen einzustellen, indem sie möglichst viel Wissen erwerben, das Studium schnell abschließen und Fremdsprachenkurse absolvieren, verfallen sie dem von der Castro-Regierung geförderten Kaufrausch."

Die beiden Professoren hoffen auf eine baldige Wende: "Wir wollen noch etwas davon haben." Während einen Tisch weiter ein Betrunkener im Che-Guevara-Trikot lautstark über die Castro-Brüder schimpft, die ein Überleben nur mit Geldsendungen aus den USA möglich machen, diskutieren die beiden Akademiker halblaut die Konsequenzen eines Systemwechsels. "Angst müssen die haben, die andere ins Gefängnis gebracht haben", sagt Jesús. Er hoffe, daß die Wende in Kuba ähnlich unblutig wie in Ostmitteleuropa verlaufen wird.

In den Genuß der in Europa gefeierten Reformen von Raúl Castro kommen nur diejenigen, die über Devisen verfügen. Alle anderen können sich weder Mietwagen, Mobiltelefon oder Hotelübernachtungen leisten. Sie profitieren auch nicht von der ausgeweiteten Angebotspalette in den Devisenläden. Daß Raúl Castro das von seinem Bruder Fidel erlassene Verbot privater PCs aufgehoben hat, ist eine Schönheitskorrektur, da kaum jemand über einen Internet­anschluß verfügt. Große Hoffnungen werden dagegen auf die angekündigten Reiseerleichterungen zu Familienangehörigen gesetzt. Es gebe aber keine neuen Gesetze, und ab wann das gelten soll, habe Raúl Castro nicht gesagt, erklärt der Chef der Inmigración-Behörde.

Ernst zu nehmen scheint man die Ankündigung bei der Deutschen Botschaft in Havanna. Diese geht mit Visaanträgen von Kubanern immer restriktiver um. Gleichzeitig hat der Botschafter seinen Sitz mit Stacheldrahtrollen schützen lassen. Botschaftsbesetzungen wie 1989 in Budapest, Prag und Warschau wollen die deutschen Diplomaten um jeden Preis verhindern. Wer dagegen ein EU-Visa ergattert und über Sponsoren mit Devisen verfügt, den läßt Kuba schon heute problemlos ins Ausland reisen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen