© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Bush zieht die Hitler-Karte
USA: Die Weigerung des Präsidenten, mit Hamas, Hisbollah, Damaskus oder Teheran zu verhandeln, macht weder Israel noch Amerika sicherer
Patrick J. Buchanan

Schon der englische Schriftsteller Alexander Pope (1688-1744) wußte um die Gefährlichkeit des Halbwissens. Derzeit beweist der 43. US-Präsident täglich, wie berechtigt Popes Warnung war. In seiner Ansprache vor der Knesset zum 60. Jahrestag der Gründung Israels kritisierte George W. Bush die "trügerische Bequemlichkeit des Appeasement" und sagte, wer mit dem Iran oder mit der Hamas verhandeln wolle, sei ein ebensolcher Tor wie diejenigen, die für Verhandlungen mit Hitler plädierten.

"Appeasement" bezeichnet das, was Premier Neville Chamberlain 1938 in München tat. Statt einen zweiten Krieg gegen Deutschland zu kämpfen - um 3,5 Millionen Deutsche gegen ihren Willen unter tschechischer Herrschaft zu halten -, stimmte er ihrer friedlichen Überführung unter deutsche Herrschaft zu. Mit den Sudentendeutschen wurde dem Deutschen Reich das Gebiet zugeschlagen, das ihre Vorfahren seit Jahrhunderten bewohnt hatten. Chamberlains Handel mit Hitler wendete den Krieg ab - zum Nachteil der Tschechen. So funktioniert Appeasement.

Die deutschen Panzer rollten erst am 1. September 1939 über die polnische Grenze. Warum? Weil Polen sich weigerte, über die Rückgabe Danzigs zu verhandeln. Die zu 95 Prozent deutsche Ostsee-Stadt mit 350.000 Einwohnern war Deutschland 1919 im Versailler Vertrag weggenommen worden, ein Verstoß gegen Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programm und seinen Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

Hitler wollte keinen Krieg mit Polen. Lieber hätte er sich mit dem Nachbarland gegen Stalin verbündet. Doch die Polen weigerten sich zu verhandeln. Warum? Weil sie ein stolzes, heldenmütiges Volk waren und weil Chamberlain ihnen eine wahnwitzige Kriegsgarantie für den Fall eines deutschen Einmarsches gegeben hatte, die sie nicht einmal von ihm gefordert hatten. Bis August 1939 versuchte Hitler, um Danzig zu verhandeln. Aber die Polen lehnten im Vertrauen auf Chamberlains Zusage ab. Also paktierte Hitler mit Stalin, und die beiden besetzten Polen und teilten es auf.

Die Kosten des Kriegs, der aufgrund von Polens Verweigerungshaltung ausbrach, waren hoch: Millionen polnische Opfer, das Massaker von Katyn, Treblinka, Sobibor, Auschwitz, die Vernichtung der Heimatarmee im Warschauer Aufstand von 1944 und insgesamt fünf Jahrzehnte nationalsozialistischer und stalinistischer Besatzung, Schreckensherrschaft und Barbarei.

In seiner Knesset-Rede erteilte Bush auch der Vorstellung erfolgreicher Verhandlungen mit Hamas, Hisbollah oder Iran eine Absage: "Manche glauben offenbar, wir sollten mit Terroristen und Radikalen verhandeln, als ob irgendein scharfsinniges Argument sie überzeugen könnte, daß sie die ganze Zeit im Unrecht waren. Diese törichte Täuschung haben wir schon einmal gehört."

Aber zeitigten Ronald Reagans Verhandlungen mit dem Reich des Bösen  etwa keine Erfolge? Führten sie nicht zu Moskaus Abkehr von seiner Weltreichpolitik und zum Ende des Kalten Kriegs? Reagans Amtsvorgänger Richard Nixon reiste 1972 - zu Zeiten der "Großen Kulturrevolution" - nach China und umgarnte den größten Massenmörder aller Zeiten, Mao Tse-tung. Und dennoch gelang es ihm, ein Vierteljahrhundert unversöhnlicher Feindseligkeit zwischen China und den USA zu beenden. War seine Reise etwa fruchtlos?

Drei Jahre, nachdem Nikita Chruschtschow den Ungarn-Aufstand in Blut ertränkt hatte, lud Dwight D. Eisenhower ihn nach Camp David ein. John F. Kennedy beendete die gefährlichste Konfrontation des Kalten Kriegs, die Kuba-Krise, indem er mit ebendiesem Schlächter von Budapest verhandelte. Waren Eisenhower, Kennedy und Nixon Toren? Die Diktatoren, mit denen sie verhandelten, waren viel üblere Massenmörder als der iranische Präsident Mahmud Ahmadi-Nedschad. Bushs Vater verhandelte mit dem syrischen Präsidenten Hafid al-Assad, dem Verantwortlichen für das Massaker von Hama 1982, und machte ihn zum Verbündeten der USA im Golfkrieg. War er ein Tor?

Unter Bush jun. handelten US-Diplomaten mit Muammar al-Ghaddhafi eine Aussetzung seines Atomprogramms aus, obwohl die USA Libyen nach wie vor für den Bombenanschlag vom 21. Dezember 1988 verantwortlich machen, als bei einem Flugzeugabsturz über dem schottischen Lockerbie 189 US-Bürger ums Leben kamen. Derzeit finden auch mit Kim Jong-Ils Nordkorea Verhandlungen statt, einem Land, das ebenfalls als Unterstützer des Terrorismus gilt. Der US-Botschafter im Irak, Ryan Crocker, verhandelt in Bagdad mit Iranern. Ägypten verhandelt im Namen Israels mit Hamas, um einen entführten israelischen Soldaten zu befreien. Alles Toren? Bush weigerte sich, mit Jassir Arafat zu sprechen, weil er ein Terrorist war. Vier israelische Ministerpräsidenten kannten keine derartigen Skrupel. Schimon Peres und Jitzhak Rabin teilten sich einen Nobelpreis mit Arafat. Benjamin Netanjahu trat Hebron an ihn ab. Ehud Olmert bot ihm 95 Prozent des Westjordanlands an. Wird etwa auch Israel von Toren regiert?

Gewiß, Chamberlains Abkommen mit Hitler erwies sich als katastrophale Entscheidung. Das gleiche gilt für die Treffen zwischen Roosevelt, Churchill und Stalin in Jalta und Teheran sowie für Kennedys Treffen mit Chruschtschow in Wien. In der Kuba-Krise hingegen konnte Kennedy womöglich einen Atomkrieg abwenden, indem er sich für den Weg der Diplomatie entschied. Auch Eisenhower, Nixon, Ford und Reagan trafen sich mit ausländischen Diktatoren, die Blut an den Händen hatten, ohne daß es Amerika geschadet hätte - und bisweilen konnten sie sogar beeindruckende Erfolge erzielen. Was hat dagegen Bushs Weigerung, mit Hamas, Hisbollah, Damaskus oder Teheran zu sprechen dazu beigetragen, Israel oder Amerika sicherer zu machen?

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

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