© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

EM 2008
Rot-weiß-rotes Kanonenfutter
Arthur Hiller

In der Frühzeit des österreichischen Fußballs soll so mancher Spieler, so sagt die Legende, unter falschem Namen und mit Perücke oder künstlichem Bart verkleidet aufgelaufen sein, da die Sportart verpönt und insbesondere Schülern eine aktive Betätigung in Vereinen verwehrt war. Heute könnten die Kicker der rot-weiß-roten Nationalmannschaft aus ganz anderen Gründen den Wunsch nach Anonymität hegen. Ihr Team ist auf internationaler Bühne seit langer, langer Zeit eine Quantité négligeable. Selbst gegen eine katastrophal verfaßte DFB-Auswahl reichte es Anfang Februar in Wien trotz phasenweise respektabler Bemühungen nur zu einer 0:3-Niederlage. Der Auftritt von Joachim Löws Mannen wurde ob der mangelnden „Spielkultur“ daheim gleichwohl so behandelt, als wären die Deutschen als haushohe Verlierer vom Platz gegangen. Gegen die Niederlande lag man sechs Wochen später gar schon mit 3:0 in Führung, um sich am Ende dann doch noch – wo es ausnahmsweise an Unvermögen mangelt, tritt halt das Pech hinzu – mit 3:4 geschlagen zu geben.

In der Fifa-Weltrangliste, die bei all ihren Schwächen unter dem Strich halt doch eine halbwegs zuverlässige Orientierung über die Leistungsstärke von Nationalmannschaften bietet, führt Österreich auf Platz 101 exakt die zweite „Tabellenhälfte“ an. Von den übrigen 15 Mannschaften des EM-Turniers ist selbstredend keine einzige hinter ihr plaziert. Auf Platz 48 rangiert die Schweiz, das zweite Gastgeberland. Alle anderen 14 Teams finden sich in der Liste zwischen den Plätzen 3 (Italien) und 27 (Polen), Deutschland, vor der WM 2006 noch irgendwo um Rang 20 herumkrebsend, hat sich bis auf die Position 5 hochgekickt. Aus jenen Nationalmannschaften, die in der EM-Qualifikation gescheitert sind und in der Fifa-Weltrangliste vor Österreich stehen, könnte man ein weiteres Turnier bestücken. Unter den 26 Teams befinden sich fußballerisch so renommierte wie England, Norwegen, Dänemark (immerhin der Europameister von 1992) und Irland.

Der Schmäh der austriakischen Torjägerlegende Toni Polster, Österreich habe sportlich bei der EM eigentlich nichts zu suchen, stützt sich also durchaus auf empirische Fakten. Allerdings haben die Griechen unter Otto Rehhagel vor vier Jahren vorexerziert, daß auch Mannschaften, die alles andere als „modernen“ Fußball spielen, mehr als nur Kanonenfutter sein können.

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