© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Wunderbar überladen
Eine Bonner Ausstellung feiert den deutschen Schlager in all seiner Pracht
Karl Heinzen

Heino und seine Hannelore, Florian Silbereisen, Stefanie Hertel, Jürgen Drews, Dieter Thomas Heck, aber auch Schlagerproduzenten wie Hans R. Beierlein – einer der einflußreichsten Medienmanager Deutschlands – tummelten sich auf dem roten Teppich vor dem Haus der Geschichte in Bonn. Anlaß zu diesem Staraufgebot und weiteren über eintausend Gästen war die Eröffnung der neuen Wechselausstellung „Melodien für Millionen. Das Jahrhundert des Schlagers“.

Nach einer ersten eher trockenen Ansprache des Hausherrn Walter Hütter – er definierte den Schlager als „ein kommerziell erfolgreiches, populäres deutschsprachiges Lied“, weshalb in der Ausstellung auch Volksmusik, die Neue Deutsche Welle und Liedermacher berücksichtigt und gefeiert werden – bot der Auftritt von Götz Alsmann den Höhepunkt des Abends. Charmant und witzig schlug Alsmann einen Bogen vom heutigen Schlager über Mozart bis zurück ins Spätmittelalter zu den Minnesängern und Harlekinen. Seinen Vortrag untermalte er mit einer Ukulele, zu deren Klängen er mehrere Lieder zum besten gab.

In einem chronologischen Rundgang wird die ganze Palette des Schlagers vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute vor den Augen des Besuchers ausgebreitet. In den sieben Zeitabschnitten sind die Tribünen jeweils weiß und die Kulissen schwarz gehalten. Auf den weißen Bühnen sind Originalkostüme, Schallplatten und Zeitungsartikel zu sehen, im Zentrum steht immer eine eigens für die Ausstellung konzipierte Musikbox, auf der man seine Lieblingslieder aus der jeweiligen Zeit wählen und unter einer Hörglocke anhören kann, die schwarzen Kulissen hingegen bietet Hintergrundinformationen zur Musikvermittlung und -vermarktung, aber auch, wo geboten, zu politischen Hintergründen.

Als das Grammophon in Mode kam – das sich anfangs nur sehr wohlhabende Leute leisten konnten –, zog die Musik in die privaten Haushalte ein. Die Erfindung der Schallplatte führte zu einem ersten Musikboom. Von den im Jahr 1929 verkauften 30 Millionen Schallplatten waren mehr als die Hälfte Tanzmusik. 1930 löste der Ton- den Stummfilm ab, und der Schlagerfilm wurde eine eigene Gattung; in einem Kino sind zum Beispiel Filmausschnitte mit Lilian Harvey zu sehen.

Der Schlager im Dritten Reich wird unter anderem durch Ausschnitte aus den „Wunschkonzerten“, die den Frontsoldaten gewidmet waren, Evergreens der dreißiger Jahre und Kleidungsstücke von Zarah Leander und Hans Albers veranschaulicht. Wer weiß schon, daß das Lied „Goodbye Johnny“ 1941 aus politischen Gründen zu „Lebwohl Peter“ umgetextet wurde?

Nach dem Krieg erlebte der heitere und leichte Schlager bis Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre eine wahre Blütezeit; in der Ausstellung glänzt nicht nur Caterina Valentes perlenbesticktes Jäckchen, das sie einmal in der „Dean Martin Show“ trug. Die erste Krise erlebte der Schlager in den Sechzigern, als langsam die englischsprachige Musik nach Deutschland überschwappte. Vor allem Jugendliche stempelten Schlager als zu bieder und zu altmodisch ab. Deswegen kam 1969 die „Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck ins Fernsehen, die ausschließlich deutsche Musik ausstrahlte. Dadurch flammte die Schlagerwelle wieder auf. Heck ist es auch zu verdanken, daß so viele teils skurrile Ausstellungsstücke zusammengetragen werden konnten.

Schlager der DDR, die im Westen kaum wahrgenommen wurden, werden in einer eigenen Ecke mit all ihren Kuriositäten präsentiert. Die komplette Vermarktung unterlag dem einzigen Label „amiga“, und es gab eine 60/40-Regelung, wonach die Unterhaltungsmusik zu sechzig Prozent aus DDR- bzw. sozialistischer Produktion stammen mußte.

Beim weiteren Rundgang werden die Besucher geradezu von Exponaten erschlagen. Neben Wolfgang Petrys Freundschaftsarmbändern steht die Ukulele von Götz Alsmann, das perlenbestickte schwarze Kleid von Nicole, das Ralph Siegel eigens für den großen Auftritt der damals 17jährigen beim Grand Prix Eurovison de la Chanson“ 1982 entworfen hatte (der Siegertitel „Ein bißchen Frieden“ traf den Nerv jener friedensbewegten Jahre und verkaufte sich vier Millionen Mal), hängt neben der roten Glücksunterhose von Florian Silbereisen, und auch von „modernen“ Schlagersängern wie Annett Louisan oder Roger Cicero gibt es Bühnenkleidung zu sehen. Großartig ist auch der Sessel von Dieter Thomas Kuhn, der ganz aus Plüschtieren gemacht ist. Diese wurden von begeisterten Fans in Massen auf die Bühne geschmissen und auf diese Weise wiederverwertet. Ein weiteres markantes Ausstellungsstück ist der gläserne Flügel, auf dem Udo Jürgens seine Konzerte gibt. Der eigens für Jürgens hergestellte Flügel ist aus Plexiglas. Natürlich fehlt auf diesem Flügel der oft getragene und vor allem originale Bademantel von Udo Jürgens nicht.

Letztendlich ist die Ausstellung „Melodien für Millionen. Das Jahrhundert des Schlagers“ so wunderbar überladen mit Originalen, Musik und Film, daß man am liebsten gleich ein zweites Mal durch ihre Räume gehen würde.

Die Ausstellung „Melodien für Millionen“ ist bis zum 5. Oktober im Bonner Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Telefon: 02 28 / 91 65-0, Internet: www.hdg.de

Foto: Notenheft Lili Marleen (1940), Filmplakat (1959): Nach dem Krieg begann die Blütezeit

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