© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Drachentöter
Politische Zeichenlehre XLIX: St. Michael
Karlheinz Weissmann

In diesem Jahr feiert Frankreich den 1300. Jahrestag der Gründung des Klosters Mont Saint Michel, das zu den berühmtesten Wahrzeichen des Landes und zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Sein Ursprung liegt in einem Michaels-Heiligtum, das 708/709 durch den Bischof Aubert von Avranches errichtet wurde. Die ganze Überlieferung hat stark legendenhafte Züge, paßt aber deshalb gut in den Kontext der mittelalterlichen Verehrung des „Engelsfürsten“.

Deren Kern war die Schilderung der Apokalypse von der Überwindung des Drachen durch Michael, die man gemeinhin mit dem Sieg Christi über den Tod gleichsetzte und als Vorwegnahme seines endgültigen Sieges betrachtete; Michael als Führer der himmlischen Heerscharen und Seelenwäger konnte auch sonst als eine Art Stellvertreter Christi aufgefaßt werden. Der Kult des Drachentöters war ursprünglich vor allem im Osten verbreitet, was sich aus einer besonderen kriegerischen Auffassung des Christentums in Byzanz erklärte, wo man Michael sogar als Oberkommandeur der eigenen Truppen führte und mit einer Michaelsfahne in den Kampf zog. Seit dem 8. Jahrhundert hat die Verehrung dann auch im Westen Fuß gefaßt. Das nicht nur wegen des byzantinischen Vorbildes, sondern auch weil die Gestalt dieses Engels dem Geist der germanischen Völker besonders entgegenkam. Zuerst betrachteten die Langobarden den Erzengel als ihren besonderen Schutzheiligen und errichteten ihm auf dem Monte Gargano eine bis heute berühmte Stätte der Verehrung. Dann ließ Karl der Große, der sich die langobardische Krone angeeignet hatte, den Papst durch die Mainzer Synode von 819 bitten, Michael zum Patron des Karolingerreiches zu bestimmen.

Infolgedessen reklamierten später sowohl die deutschen wie auch die französischen Könige die besondere Zuwendung Michaels. Das Heer Ottos des Großen erkämpfte 955 den entscheidenden Sieg gegen die Ungarn auf dem Lechfeld unter einer Fahne mit dem Bild Michaels. Die im 12. Jahrhundert eingeführte kaiserliche Fahne mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund war als Michaelsfahne gemeint. In Frankreich trugen die Söldner des Königs dagegen einen Waffenrock, der ein weißes Kreuz auf Blau als Symbol des Heiligen zeigte. Die Abtei des Mont Saint Michel auf der Grenze zwischen Normandie und Bretagne stieg im Spätmittelalter zu einer Art französischem Nationalheiligtum auf. Dort gründete Ludwig XI. noch 1469 den Michaelsorden als besonders ausgezeichnete Gemeinschaft seiner Getreuen.

Der kriegerische Engel hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon viel von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren. Einer Figur, die vor allem von der Ritterschaft verehrt worden war, bediente sich die katholische Kirche höchstens noch als Allegorie für den Kampf gegen das Böse, etwa im Zeitalter der Gegenreformation, die Michael als Ketzertöter darstellte. Ansonsten riefen die Bauern Michael als Nothelfer an, so daß er im Rahmen der katholischen Volksfrömmigkeit weiter eine Rolle spielte und ihm manche neue Aufgaben übertragen wurden, die den alten ähnelten: In Frankreich gilt der Erzengel bis heute als Beschützer der Fallschirmjäger, in den USA als Patron der Polizisten und Soldaten. Die Wiederbelebungsversuche als deutscher Nationalheiliger seit der Romantik und verstärkt in der Zeit des Hohenzollernreiches hatten aber bezeichnenderweise keinen Erfolg.

Ein deutlich anderes Bild bietet da der Einflußbereich der Orthodoxie. Hier erhielt sich viel von der ursprünglichen Popularität, was noch an den zahllosen Michaelskapellen, -kirchen und –klöstern im griechischen Kulturraum zu erkennen ist. In Rußland galt Sankt Michael bis zum Untergang der Monarchie als Patron des Landes und des Herrscherhauses, und in Rumänien stieg er nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sogar zum Emblem einer neuen – faschistischen, aber fest im orthodoxen Erbe verwurzelten – Bewegung auf, der von Corneliu Codreanu gegründeten „Legion Erzengel Michael“, später „Eiserne Garde“ genannt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat die Tradition der Michaelsverehrung im Osten eine Wiederbelebung erfahren, was auch dazu führte, daß viele russische Städte zu ihren alten Wappen mit der Figur des Drachentöters zurückkehrten, darunter Archangelsk – „Erzengelstadt“ im Norden, dessen altehrwürdiges Michaelskloster von den Bolschewiki als Gulag mißbraucht worden war und jetzt wieder als geistliches Zentrum dienen soll.

Foto: Kleinod des französischen Michaelsorden, zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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