© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

CD: Pop
Wichtigtuer
Georg Ginster

Ulrich Peltzers Kitschroman „Teil der Lösung“ hat in den vergangenen Monaten allüberall das Feuilleton inspiriert, von einer Überwindung des bloß Privaten und einer Wiederkehr des Politischen in der Literatur zu träumen. Der Autor selbst weiß mit dieser Interpretation offenbar wenig anzufangen – und dies ganz zu Recht. Seine ansonsten mit Jean Paul befaßte Protagonistin frönt zwar einem Graswurzelterrorismus, der die einschlägigen Sicherheitsorgane der Republik auf den Plan ruft. Dieser speist sich jedoch eher aus einer simplen subjektiven Befindlichkeit, dem noch nicht einmal zu einer Verschwörungstheorie fähigen Unbehagen über eine anonyme Macht, und hat mit Politik soviel zu tun wie Schlägereien, die mit NS-Symbolen drapierte Hooligans nach verlorenen Fußballspielen inszenieren.

„Teil der Lösung“ sollte daher vielleicht eher als Versuch gelesen werden, Houellebecq im Berliner Milieu fortzuspinnen, ohne sich zu dessen Radikalität durchringen zu wollen. Wo der Franzose seine Figuren mit allen Konsequenzen in ihrer Zeit aufgehen läßt, bewahren jene von Peltzer ihre persönliche Integrität. So sehr sie sich in ihrer Hast auch von Reiz zu Reiz verschlagen lassen, bewahren sie die Muße zur Reflexion über das, was um sie herum so alles passiert.

Aus einer derartigen so naiven wie anmaßenden Neigung, die eigenen Beobachtung für wichtig und mitteilenswert zu halten, schöpft nun auch der Barde Niels Frevert seine Lieder. Als Anführer der Band Nationalgalerie hat er bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre seinen Nimbus begründet, auf intellektuell anspruchsvolle Weise zu unterhalten. Diese Linie hat er seither auf Solopfaden konsequent perfektioniert, vorläufig gekrönt durch sein aktuelles Album, „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ (Tapete Records/Motor Music).

Über spartanische Arrangements aus Klavier- und Streicherschmalz haucht er sensible Gedanken, die so manchem nicht mehr wirklich jungen Menschen, der gleichwohl nicht so ganz in der Erwachsenenwelt angekommen ist, vor allem in jener, die durch berufliche Karriere strukturiert wird, hin und wieder, wenn er die Zeit findet, innezuhalten, durch den Kopf gegen mögen, am Steuer seines Autos auf langen Fahrten zum Beispiel oder beim Warten an der Bushaltestelle oder auch auf Parties, wenn die Gespräche wieder einmal an einem vorbeigehen sollten.

Während Peltzer seinen Roman mit Marken, Locations, den Namen von angesagten Bands und Zitaten aus ihren wichtigsten Songs sowie ein paar Buchtiteln und Autoren in die Gegenwart hineinzwängt und sich in Comic-Manier an einer Hommage an die Randgruppe des akademisch gebildeten Prekariats abarbeitet, beschränkt sich die Metaphorik Freverts auf das ganz und gar Alltägliche, das jedem zugänglich ist, möge er nun Versicherungen verkaufen oder in Stadtmagazinen über Vernissagen schreiben.

Im Treppenhaus fällt der Schlüsselbund auf eine Fußmatte, das Panorama beim Blick aus dem Fenster ist durch Baukräne geprägt, die Brillengläser sind beschlagen, Autos rauschen, Blätter wehen, in der Waschmaschine wäre noch Platz gewesen, jemand steht am Bahnsteig und hat eine Reisetasche in der Hand, all das läßt sich per se kaum als literarische Inspiration begreifen – und schon gar nicht, um das eigentliche Leiden Freverts zu bebildern, daß die Zeit nun mal vergeht, ohne daß man jemals in ihr heimisch geworden wäre. „Denn sämtliche Vergleiche hinken doch nur hinterher“: Vielleicht ist sich Frevert ja selbst seines Scheiterns bewußt.

CD: Niels Frevert, „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ (Tapete Records/Motor Music). Bis zum 23. August tritt Niels Frevert in verschiedenen deutschen Städten auf, www.nielsfrevert.net

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