© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Rosige Aussichten für grüne Studienfächer
Landwirtschaft: Die deutsche Agrarspitzenforschung gewinnt an Bedeutung / Nahrungsmittelverknappung als Herausforderung
Harald Ströhlein

Der akademische Abschlußgrad Diplom-Ingenieur wurde 1899 durch Erlaß von Kaiser Wilhelm II. den Technischen Hochschulen zuerkannt. Genau hundert Jahre später wurde durch den sogenannten Bologna-Prozeß zur Harmonisierung des europäischen Hochschulwesens der weltweit anerkannte deutsche „Dipl.-Ing.“ zum Auslaufmodell. Auch wenn vereinzelte Stimmen noch Gegenwehr zeigen, so gehört wohl dem Bachelor of Engineering oder – nach Aufbaustudiengang – dem Master of Engineering (M. Eng.) die Zukunft.

In die gleiche Richtung entwickeln sich zwangläufig auch die Agrarwissenschaften. So haben die entsprechenden Fachhochschulen – bundesweit sind es jetzt elf – einen manifesten Modernisierungsprozeß erfolgreich durchlaufen, wie auf dem jüngst stattgefundenen Fachbereichstag verlautet wurde. Demnach böten die FHs in Deutschland ein kompaktes Studienangebot auf wissenschaftlicher Grundlage an, welches sich an den Anforderungen des Arbeitsmarktes orientiere.

Nicht zuletzt durch eine intensive Kontaktpflege zu berufsständigen Organisationen und ins Agrargeschäft werden die Arbeitsmarktperspektiven trotz der regen Studienplatznachfrage als hervorragend bezeichnet. Zum Wintersemester 2007 haben sich fast 3.900 Studierende an deutschen Fachhochschulen mit landwirtschaftlicher Orientierung eingeschrieben; das sind immerhin ein Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Anders verhält sich die Situation hingegen bei den agrarwissenschaftlichen Universitäten, deren Struktur ernsthaft auf dem Prüfstand steht. Ginge es nach dem sogenannten Wissenschaftsrat zur Entwicklung der Agrarwissenschaften in Deutschland, müßten drei Fakultäten – Berlin, Rostock und Kassel – ihre Türen für immer schließen. Zudem wurde in dem Gutachten den Universitäten in Gießen, Halle und Kiel nur geringe Hoffnung auf eine erfolgreiche Fortführung ihres Forschungs- und Lehrauftrags in Aussicht gestellt. Lediglich den Standorten in Bonn, Göttingen, Stuttgart-Hohenheim und München-Weihenstephan wurde die Voraussetzung für eine Vollfakultät attestiert.

Demzufolge postuliert der Wissenschaftsrat, die agrarwissenschaftlichen Kapazitäten zu konzentrieren, wonach die verbleibenden universitären Einrichtungen den Kern für sechs regionale, nicht mehr staatlich getragene, „Cluster“ bilden sollten. Empfohlen wird weiterhin, daß neben den Fachhochschulen auch außeruniversitäre Forschungsinstitutionen sowie von der Wirtschaft getragene Einrichtungen einzubinden seien.

Höhere Ernteerträge auf den begrenzten Flächen erzielen

Die Arbeitsschwerpunkte, die der Wissenschaftsrat für diese Konglomerate sieht, sind Themen wie Nahrungsmittel und Bioenergien, mit denen wir uns künftig intensiver auseinanderzusetzen haben. Denn schon heute zählt man schätzungsweise 850 Millionen Hungernde auf der Erde – und jährlich kommen etwa vier Millionen dazu. Und wenn in den nächsten 40 Jahren die Menschheit auf mehr als neun Milliarden wachsen sollte, wird sich der Bedarf an dem ohnehin schon unzureichenden Angebot an Nahrungsmitteln entsprechend erhöhen. Bereits bis 2030, so die Welternährungsorganisation (FAO), wird der Bedarf um 60 Prozent gestiegen sein.

Vor diesem Szenario und vor dem sich wandelnden Klimabild auf unserem Planeten wird es also unumgänglich sein, vor allem die Ernteerträge auf den begrenzten Flächen zu intensivieren und die Effektivität in der Pflanzenproduktion wie auch in der Nutztierhaltung unter Wahrung von Nachhaltigkeit und Tiergerechtheit zu steigern.

Ohne Spitzenforschung im Agrar-, Forst- sowie Fischereisektor – wie beispielsweise die Genomforschung bei Nutztieren und -pflanzen unter gleichzeitiger Implikation von Qualitätssicherung und Umweltstandards – wird eine derart kolossale Herausforderung, der sich die Menschheit zwangsläufig stellen muß, nicht zu bewältigen sein. Es steht also viel auf dem Spiel, wenn sich Bund und Länder über das Gedankenkonstrukt bis 2009, so die gesetzte Frist, beraten. Denn angesichts immer knapper werdender Ressourcen nehmen die Agrarwissenschaften künftig mehr denn je eine Schlüsselfunktion bei der Lösung globaler Probleme – konkret der Verfügbarkeit von Bioressourcen – ein.

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