© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Frisch gepresst

Graf Kessler. Wie ein Nebenprodukt seiner Editionstätigkeit im Archiv des Auswärtigen Amtes wirkte Peter Grupps Biographie des Diplomaten, Salonlöwen, Kunstimpresarios und Kulturpolitikers Harry Graf Kessler (1868-1937), als sie 1995 auf den Markt kam. Trotzdem lag damit ein grundsolides Werk vor, das den Kosmopoliten mit seinen "zehntausend Bekannten" als repräsentative Figur des europäischen Fin de siècle vorstellte. Laird M. Eastons doppelt so dicke Kessler-Biographie (JF 44/05) schürfte dann emsig im Papierbergwerk der Diarien, das der Graf hinterlassen hatte. Er vermochte aber Grupp kaum um Essentielles zu ergänzen, denn einige homosexuelle Intimhistörchen, über die Easton plaudert, darf man schwerlich wichtig nehmen. Nun wagt der Berliner Germanist und Galerist Friedrich Rothe einen dritten Anlauf. Und gäbe es heuer nicht, wie Tilman Krause mutmaßt (Literarische Welt vom 29. März), ein zeitgeistiges Bedürfnis, den nach 1918 zum Linksliberalen, Pazifisten und Völkerverständiger mutierten Kessler selbst in "Hochglanzzeitschriften" zum "Mann der Stunde" auszurufen, dürfte dies auf wenig Resonanz hoffen. Denn Neues, dies kann man auch in Kenntnis der fortschreitenden, achtbändigen Tagebuch-Edition bei Klett-Cotta behaupten, hat Rothe einfach nicht im Angebot. Er kehrt zwar deutlicher als Easton die Widersprüchlichkeit dieser Existenz heraus, betont etwa das Alldeutschtum des bis zuletzt auf einen deutschen "Siegfrieden" versessenen preußischen Offiziers oder konturiert manche grotesken Züge seiner kulturpolitischen Initiativen, aber zum "letzten Wort" in Sachen Kessler hat es, wie man Krauses Befund bestätigen muß, nicht gereicht. Vielleicht deshalb, weil Grupps erstes Wort dies letzte schon war (Harry Graf Kessler. Biographie. Siedler Verlag, München 2008, gebunden, 351 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro).

Phrasenführer. Wer Phrasen anklagt, setzt sich leicht dem Verdacht aus, ein misanthropher Beckmesser zu sein, mutet doch das kritische "aufs Maul Schauen" oft als etwas unangenehm Oberlehrerhaftes an oder - noch schlimmer - bekundet mit dem unweigerlich mitgelieferten "Fünf-Euro-Wurf in das Phrasenschwein" selbst phrasenhafte Unoriginalität. Dem Münsteraner Germanisten Burkhard Spinnen gelingt es dennoch, in meist anregender Form aktuelle sprachliche Moden zu karikieren. Wenigstens ist man künftig "auf Augenhöhe" beim "Implimentieren" von "Zielvereinbarungen", wenn ungemein "spannende" Personen mit "suboptimalen" "Kernkompetenzen", die sonst aber sehr "ambitioniert" sind, ihre Defizite "zeitnah" "nachbessern" (Gut aufgestellt. Kleiner Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008, broschiert, 158 Seiten, 7 Euro).

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