© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Das Leiden an Deutschland
Wachsame Löwen: Die "Zeit" macht Hatz auf Nazis und Werbung für eine neue Internetseite
Doris Neujahr

Da läßt der entsetzte Bürger die Faust zwischen die Kaffeetassen sausen: "Rechtsextreme unterwandern unseren Alltag", knallt es ihm von der Titelseite der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit entgegen, garniert mit einem Foto, das eine Marschformation ledergewandeter junger Männer zeigt. Die Schlagzeile lautet: "Werden wir die Nazis los?" Wobei zunächst unklar ist, ob es sich tatsächlich um Rechtsextreme oder um eine Demonstration der Sado-Maso-Szene handelt. Die Zeit-Macher wissen eben, worauf Zeit-Leser stehen!

In ihrem siebenseitigen "Dossier" stellt sich heraus, daß es um profane Werbung für den neuen Internetauftritt "Netz-gegen-Nazis.de" geht, mit dem sie ihre Leserschaft zu verjüngen hofft. Eine sonst achtbare Kulturjournalistin bleibt bei dem Versuch, die Dramatik der Titelschlagzeile zu rechtfertigen, zwangsläufig unter ihrem Niveau. Durch die ganze Republik ist sie gefahren, von Hamburg nach Merseburg, nach München und Erfurt, um die flächendeckende faschistische Bedrohung auszumachen. Was sie vorfand, waren brennende Autos am 1. Mai, deren Urheber freilich die Autonome Antifa war. Sie seien, so die Autorin, von den Nazis eben dazu provoziert worden, die "den Antifaschismus in Verruf" bringen wollten. In früheren Jahren hätten die Provokateure sich demnach als Polizisten oder als normale deutsche Spießer verkleidet?

Einmal deutet sie an, daß die Grenzen zwischen den Wählern der Linkspartei (die als honorig gilt) und der NPD fließend sind. Doch führt sie dieses Motiv nicht aus, ihr Auftrag lautet ja, eine Gefahr von rechts herbeizuschreiben. In Hannover hatten Jungnazis vor Jahren die elterliche Wohnung eines Gesinnungsfreundes verwüstet - wie anders geht es unter Punkern zu!

Ein paar Seiten weiter in einem Interview läßt der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, ein SPD-Mitglied, die Katze aus dem Sack: Gegen das "rechtsextremistische Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft" müsse eine "gesamtgesellschaftliches Bündnis", eine "gemeinsame Front" von CDU bis Linkspartei gebildet werden. Der für Ausländerkriminalität zuständige Berliner Staatsanwalt Roman Reusch wurde umgehend versetzt, als er nackte Tatsachen auf den Tisch legte. Der SPD-Mann Rautenberg, der hier haltlosen ideologischen Spekulationen nachgeht und unverblümt Parteipolitik betreibt, muß derlei nicht befürchten.

Dieser bundesrepublikanische Daueralarmismus, der sich periodisch zu Kampagnen (Sebnitz ist überall!) steigert, hat zwar keine sachliche Grundlage, aber einen klaren politisch-psychologischen Zweck: In der Kennzeichnung, Verfolgung und Erlegung eines - übrigens stets hoffnungslos schwachen - "Feindes" wird ein Jagdritual erkennbar, durch das die amorphe, anscheinend indifferente Masse strukturiert, formiert, durch das Gemeinschaft gestiftet wird. Gleichzeitig wirkt es disziplinierend, denn wer am Ritual teilnimmt, erfährt gleichzeitig, wie es ihm erginge, wenn er sich abseits stellte und selber zum Jagdobjekt würde. Das Opfer wird von zwei Seiten in die Zange genommen: Zum einen von einer überlegenen, gewalttätigen Bewegung wie den Autonomen, welche ihre Gegner offen terrorisieren, als auch vom Staat, der den Terror gewähren läßt, also ermuntert, und seine Opfer auf eigene Weise stigmatisiert.

Der Ruf "Nazis raus!" will die humanistische Antwort sein auf den Spruch "Ausländer raus!" (Darauf verweist auch der Vers: "Ausländer bleiben - Nazis vertreiben!") "Ausländer raus!" kann inhuman, unmöglich oder einfach dumm sein, impliziert aber nicht automatisch die Entrechtung des Ausländers, sondern lediglich die Aufforderung, seine staatsbürgerlichen Rechte in seinem Herkunftsland wahrzunehmen, anstatt von Deutschland seine Daueralimentierung zu erwarten. Für den "Nazi" (bzw. den so Bezeichneten) jedoch, der in der Regel deutscher Staatsbürger ist, gibt es außerhalb Deutschlands keinen Ort, wo er seine staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen könnte. Insofern zielt "Nazis raus!" auf totale Entrechtung und Ortlosigkeit. Denkt man die Aufforderung zu Ende, wäre die letzte Konsequenz die Errichtung von Lagern als der "Materialisierung des Ausnahmezustandes" (Giorgio Agamben).

In dieser neuerlichen Brutalisierung des Politischen widerspiegelt sich eine psychologische Disposition, die in einer altbekannten "deutschen Misere" wurzelt. Für den Soziologen Norbert Elias ging sie auf den Dreißigjährigen Krieg zurück. Elias stellte einen Zusammenhang her zwischen der Zerrissenheit und Machtlosigkeit des eigenen Landes und dem Leiden daran sowie der - sich aus der objektiven Lage ergebenden - Fixierung auf militärische Kraft und gewalttätige Problemlösungen. Der Hallenser Psychologe Hans-Joachim Maaz hat das Mauersyndrom in der DDR ganz ähnlich analysiert. Das Leiden an der Einsperrung als der definitiven Demonstration eigener Machtlosigkeit führte zu einem Aggressionsstau, der sich nach dem Zusammenbruch des Staates an Schwächeren entlud.

Die deutsche Vergangenheitsbewältigung, deren Arsenal das ideologische Rüstzeug der "Anti-Rechts-Kampagnen" meistenteils entstammt, geht in seinen Ursprüngen gleichfalls auf das Leiden am eigenen Land, vor allem an seiner Teilung, zurück. Wenn wir erst die Restbestände des Nazismus ausgerottet haben und die Siegermächte sehen, daß wir es ehrlich meinen, dann werden sie die Wiedervereinigung zulassen! - so lautete die rührende Logik.

Inzwischen haben die Bußrituale sich von solchen Erwägungen, in denen das eigene Land immerhin noch als Subjekt gedacht wurde, vollständig gelöst und sind pathologisch geworden. Sicherlich, ihre Betreiber streichen neben dem materiellen und gesellschaftlichen noch den Lustgewinn ein, einer Aufklärungs- und Bewältigungselite anzugehören. Aber die Konstellation der Selbstgeißelung bleibt eine pathologische, die ihren Preis fordert. Er besteht in einem Aggressionsstau von noch größerem Ausmaß als in der DDR. Die furchtbare Vermutung liegt nahe, daß aus dem (west-)deutschen Selbsthaß eine neuartige, zur Blutrünstigkeit steigerbare humanitaristische Bösartigkeit entstanden ist, die mit zunehmender Gier Ausschau nach einem Betätigungsfeld hält.

Ein Funktionär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der neben dem Deutschen Fußballbund, dem Deutschen Feuerwehrverband und dem ZDF als "TV-Partner" ebenfalls an der Zeit-Kampagne teilnimmt, sagte: "Wir wollen unsere 25 Millionen Mitglieder zu wachsamen Löwen machen, damit eine Verfolgung von Minderheiten wie im Dritten Reich nicht noch einmal passiert." Ein entlarvender Satz! Wenn 25 Millionen wachsame Löwen aufmarschieren, gibt es für Minderheiten wie überhaupt für jeden, der frei sein will, nur noch eine Parole: Rette sich, wer kann.

Foto: Lager als letzte Konsequenz und "Materialisierung des Ausnahmezustandes" (Giorgio Agamben): Brutalisierung des Politischen

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