© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Ohne Parlamentsentscheid geht es nicht
Bundeswehr: Bundesverfassungsgericht stärkt Rechte des Bundestages bei Auslandseinsätzen / Dämpfer für Sicherheitskonzept der Union
Paul Rosen

Die Argumentation der früheren rot-grünen Regierung Schröder zum Einsatz deutscher Soldaten in der Türkei hatte sich zunächst schlüssig angehört. Die Nato hatte 2003 angesichts drohender kriegerischer Auseinandersetzungen im Irak AWACS-Aufklärungsflugzeuge in die verbündete Türkei beordert, die eine gemeinsame Grenze mit dem Irak hat. Diktator Saddam Hussein könne, so die damalige Befürchtung, Bomberflotten Richtung Ankara schicken. In AWACS-Maschinen (umgebaute Boeing 707) sitzen zu einem Drittel deutsche Soldaten. Kanzler Gerhard Schröder hatte damals von "Bündnisroutine" gesprochen und eine Beschlußfassung des Bundestages wie bei anderen Auslandseinsätzen abgelehnt.

In der Tat sprachen die sachlichen Gründe nicht unbedingt für eine Befassung des Parlaments. Die Sorge, die AWACS könnten in den Luftraum des Irak hineinspionieren und die gewonnenen Informationen an die angreifenden amerikanischen Streitkräfte weitergeben, war von vornherein unbegründet. Die amerikanischen Truppen verwenden im Krieg eine ganz andere Verschlüsselung für den Funk als die Nato. Man hätte sich nicht einmal verstanden. Die unbewaffneten AWACS-Maschinen hätten die türkische Luftwaffen-Führung mit Informationen versorgt. Es gab für AWACS nichts zu befehlen und nichts zu schießen. Das hätten die Türken erledigt.

Das Bundesverfassungsgericht, das bereits 1994 in einem wichtigen Urteil Parlamentsbeschlüsse für Auslandseinsätze der Bundeswehr verlangt hatte, vertiefte jetzt seine Rechtsprechung. Die Richter in den roten Roben blieben ihrer Linie treu. Sie definierten selbst den AWACS-Flug als bewaffneten, zustimmungspflichtigen Einsatz der Bundeswehr. Der Einsatz sei "parlamentsfreundlich" auszulegen. Der Bundestag sei zuständig, und daher bestehe "gerade kein eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum der Bundesregierung", heißt es in dem Urteil, das aufgrund einer Klage der FDP erging.

Die Möglichkeit der Bundesregierung, ohne Mandat des Bundestages mehr als unbewaffnete Beobachter ohne Uniform irgendwo hin zu schicken, ist jetzt gleich Null. Damit steht Deutschland ganz anders da als alle anderen Nationen, in der die Regierung und nicht das Parlament Truppen schickt. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel kann der Kongreß bestenfalls über das Haushaltsrecht Einfluß auf Kriege nehmen, indem er Gelder zurückhält oder kürzt. Die Nachteile der strikten Karlsruher Entscheidung liegen auf der Hand: Deutschland kann kurzfristig keine Truppen irgendwo hinschicken. Die Regierung in Berlin muß sich erst die parlamentarische Zustimmung besorgen. Darin kann man auch einen Vorteil sehen: Denn schnell Truppen schicken und dann mit den politischen Lösungen nicht nachkommen wie auf dem Balkan, dürfte mit einem selbstbewußteren Parlament schwierig werden.

Die Verfassungsrichter haben sich mit dem Urteil gegen eine Tendenz gestellt, die Rechte des Parlaments weiter auszuhöhlen. So hatte die Unionsfraktion zeitgleich mit dem Urteil einen Kongreß abgehalten, bei dem es um die Erweiterung der Regierungskompetenzen gehen sollte. Fraktionschef Volker Kauder, Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung wollten dafür einen "Nationalen Sicherheitsrat" in Berlin, der den Einsatz ziviler, polizeilicher und militärischer Kräfte koordinieren sollte - im Inland wie im Ausland. Schon auf dem Kongreß, in den das Urteil hineinplatzte, war vom Sicherheitsrat keine Rede mehr. Die Union stand ziemlich blamiert da. Dagegen haben sich SPD-Verteidigungspolitiker als visionär erwiesen, als sie bestehenden multinationalen Strukturen wie den Nato Response Forces und den EU-Battlegroups in einem Papier vor dem Urteil eine Absage erteilten. Solche Truppen sind mit deutscher Beteiligung kurzfristig nicht mehr einsatzbereit.

Das Verfassungsgericht hatte bereits beim Luftsicherheitsgesetz die Vorstellungen der rot-grünen Regierung durchkreuzt. In dem Gesetz wurde geregelt, daß ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit Passagieren von der Luftwaffe abgeschossen werden darf, wenn zivile Einrichtungen wie Atomkraftwerke bedroht sein könnten. Viele Experten hatten der Regierung von einer Regelung abgeraten, weil sich die Aufwiegung Leben (der Passagiere) gegen Leben (der Menschen am Boden) jeder juristischen Regelungsmöglichkeit entzieht. Schäuble hat es folgerichtig bisher nicht geschafft, eine verfassungskonforme Nachfolgeregelung vorzulegen.

Foto: AWACS-Flugzeug der Nato: Ein Drittel der Besatzung besteht aus deutschen Soldaten

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