© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zwickmühle
Karl Heinzen

In den vergangenen Monaten hat sich die SPD wiederholt dem Verdacht ausgesetzt, daß sie ihre programmatische Erneuerung in der Ära Schröder als einen Irrweg betrachtet und lieber wie einst als eine sozialdemokratische Partei verstanden werden möchte. Dabei scheint sie weniger die Sehnsucht nach Behaglichkeit als vielmehr schiere Verzweiflung zu leiten, sind es doch vier Probleme zugleich, die sie in Bedrängnis bringen.

Zum einen ist die Große Koalition wieder zu jener Politik des Aussitzens zurückgekehrt, für die die sechzehn finsteren Jahre der Regierung Kohl berüchtigt waren. Verführt durch Aufschwung und sprudelnde Steuereinnahmen ist auch die SPD aufs neue dem Irrglauben verfallen, daß man Geschenke an die leistungsschwachen Massen verteilen darf, statt sie stärker in die Pflicht für Wachstum und Prosperität zu nehmen. Zum anderen betreiben ausgerechnet ihre Koalitionspartner CDU und CSU, auf deren unverhohlene Parteinahme für die Interessen der Wohlhabenden man sich in der Vergangenheit stets verlassen konnte, eine soziale Demagogie bislang unvorstellbaren Ausmaßes, mit der eine Partei der linken Mitte kaum mithalten kann.

Zum dritten wird die SPD durch eine Linke in die Zange genommen, die zu Recht und erfolgreich das sozialdemokratische Erbe für sich in Anspruch nimmt. Und schließlich, als wäre es des Unheils noch nicht genug, hat sie sich mit Kurt Beck einen Vorsitzenden erkoren, der den Zustand der Partei glaubwürdig verkörpert.

Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, daß jemand wie der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin als ein "Genosse Knallhart" (Bild-Zeitung) ausgegeben wird, an dem sich die SPD aufrichten sollte. Wer Hartz-IV-Empfängern vorrechnet, daß sie sich von 4,35 Euro am Tag "vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren" können, und seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, sie mögen lieber schwarzarbeiten als soviel fernsehen, der, so soll offenbar suggeriert werden, stelle doch hinlänglich unter Beweis, daß es in der Partei Gerhard Schröders immer noch Verantwortungsträger gibt, die an seinen marktwirtschaftlichen Idealen festhalten.

Die Mission Thilo Sarrazins ist jedoch eine ganz andere: Als Repräsentant einer rot-roten Koalition muß er darauf bedacht sein, Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Linken zu zerstreuen. Dies erreicht man jedoch nicht, indem man sich auf ihre Allüren einläßt. Man muß sie kompromittieren, wenn man zeigen will, daß auch ihr die Beteiligung an der Macht wichtiger ist als das Beharren auf hehren Grundsätzen.

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