© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Killerkrabbe eingeschleppt
Bodensee: Das Ökosystem von Deutschlands größtem Binnengewässer ist durch fremde Arten bedroht
Volker Kempf

Das Ökosystem des Bodensees ist von Neozoen bedroht. Dies sind "Tierarten, die seit Beginn der Neuzeit (1492) vorsätzlich oder unbeabsichtigt unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in ein ihnen zuvor nicht zugängliches Faunengebiet gelangt sind und dort potentiell neue Populationen aufbauen können", so lautet eine noch heute gültige Definition Ragnar Kinzelbachs aus den 1970er Jahren.

Die Neozoen haben sich zu einem weltweiten ökologischen Problem ausgeweitet. Mit der Globalisierung werden ortsfremde Tierarten zu Zuchtzwecken, zur Regulierung anderer Arten oder zum Ersatz für verschwundene Arten eingeführt. Neue Tierarten werden aber auch unbeabsichtigt oder fahrlässig per Schiff, durch Aquarienabwasser und Tiertransporte, per Flugzeug, im Auto, an Angeln sowie am und im Körper sowie an der Kleidung und im Gepäck über ihre natürlichen geographischen Grenzen hinaus verschleppt.

Über die Einwanderung und die Ausbreitung von Neozoen in mitteleuropäischen Stillgewässern und großen Seen ist allerdings nur wenig bekannt. Denn die Kenntnis über das Vorkommen von Fisch- und Wirbellosenarten unter den Neozoen ist oft nur zufälligen Funden zu verdanken, die im Rahmen von Programmen zur Gewässerüberwachung, bei Fischerei-Untersuchungen oder durch interessierte Fach­experten und Berufsfischer gemacht wurden.

Daher wird seit einigen Jahren die Forschung am Bodensee durch seine Anrainerstaaten forciert. Im Rahmen der 2004 durchgeführten Untersuchungen wurden Fragen zum Thema "Neozoen im Bodensee" aufgeworfen, die es einerseits aus Gründen des Gewässer- und Artenschutzes, aber auch im Rahmen von Programmen der prozeßorientierten Grundlagenforschung zu beantworten gilt.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe kamen 2004 zu dem Schluß, daß sich die weitere Behandlung der Thematik nicht auf die beiden neu eingeschleppten Krebsarten beschränken darf, sondern eine generelle ökologische Beurteilung potentiell invasiver Neozoen im See zum Ziel haben muß. Wie schwerwiegend also ist das Problem der wirbellosen Neozoen für den Bodensee?

Die Auswirkungen von Neuankömmlingen auf das Zusammenleben der verschiedenen Arten und den Lebensraum sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Sicher ist aber: Wenn eine gebietsfremde Art sich angesiedelt hat, ist das irreversibel. Nach einer Etablierungs- folgt in der Regel die Ausbreitungsphase. Damit beginnen dann auch die mitunter größeren ökologischen Auswirkungen.

Neben ökologischen drohen auch wirtschaftliche und gesundheitliche Schäden. Wander- oder Zebramuscheln etwa verändern nicht nur das Ökosystem, sondern verstopfen beispielsweise auch Wasserrohre.

Ein äußerst besorgniserregendes aquatisches Neozoen-Problem wirft der Große Höckerflohkrebs (Dikerogammarus villosus) auf. Sein englischer Name lautet "Killer Shrimp", was seinen Grund hat. Der aus dem Schwarzmeerraum stammende Flohkrebs verbreitete sich in nur drei Jahren über den ganzen Bodensee, verdrängt heimische Krebsarten und steht unter dem dringenden Verdacht, auch Fischeier und -larven zu fressen. Das beunruhigt vor allem die Berufsgruppe der Bodenseefischer - die sich bisher in erster Linie auf die Kormorane als ihre größten Konkurrenten eingeschossen haben.

In riesigen Schwärmen tritt die fast durchsichtige, sechs bis elf Millimeter kleine Schwebegarnele (Limnomysis benedeni) auf. Sie verbreitet sich einem Bericht des Wiener Standard zufolge noch rasanter als der Höckerflohkrebs und brauchte nur ein Jahr für die Ausbreitung über den ganzen Bodensee. Als Vertilgerin von abgestorbenem Tier- und Pflanzenmaterial sei sie bereits nach einem Jahr der Anwesenheit "einflußreiches Glied der Nahrungskette", so die Seenforscher.Sollte sich das Klima auch in Mitteleuropa weiter erwärmen, wird das die Bedingungen von Neozoen nicht nur im Bodensee begünstigen. Dafür spricht der Rekordsommer 2003, der Schwärme von Süßwasserquallen möglich machte.

Aber auch in der Luft tut sich einiges über dem Bodensee. Denn die für Menschen gefährliche Tigermücke hat bereits in einigen nachgewiesenen Exemplaren die Alpen überwunden. Das Thema Artenvielfalt im allgemeinen und Neozoen wie am Bodensee im besonderen steht im Schatten der Klimadebatte, doch sind diese Phänomene nicht minder wichtig. Die Forschung wird daher weiter intensiviert.

Das Forschungsprojekt Aquatische Neozoen am Bodensee hat eine Internetseite eingerichtet, die aktuelle Informationen zum Thema anbietet: www.neozoen-bodensee.de

Foto: Flohkrebs, Blick auf den Bodensee: Die Schwebegarnele brauchte nur ein Jahr für ihre Ausbreitung

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