© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Frisch gepresst

Der Plettenberger. Der 1949 in Lüdenscheid geborene Journalist Christian Linder hat ein dickes Buch über seinen sauerländischen Landsmann Carl Schmitt geschrieben (Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land. Verlag Matthes& Seitz, Berlin 2008, gebunden, 479 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro). Originell ist er leider nur insoweit, wie er ein wenig Heimatkunde Plettenbergs bietet, und, versorgt von Schmitts Eckermann Ernst Hüsmert, Häuslich-Privates aus dem Leben des Gelehrten, der nach seiner Entlassung aus Nürnberger US-Haft 1947 in seinen Geburtsort Plettenberg zurückkehrte, den er bis zu seinem Tod 1985 nicht mehr verließ. Den gewaltigen "Rest" des Buches über "einen der einflußreichsten und mächtigsten Intellektuellen Europas" (Linder) bestreitet der Autor fast ausschließlich mit CS-Zitaten. Das ermüdet und ersetzt nur für den eine "ganze Bibliothek" an Schmitt-Literatur (so Micha Brumlik in Literaturen, JF 16/08), der den Staatsdenker gern im Wikipedia-Format goutiert. Nur bei einigen Zitaten regt Linders Arrangement zum Nachdenken an. Etwa im Protokoll des Nürnberger Verhörs durch Robert W. Kempner, der CS als "Schreibtischtäter" festnageln möchte. Da ist vom "Überfall" auf Frankreich die Rede, vom "Goebbelsstil" der CS-Schriften, vom Geld, das ihm das "Nazireich" für Vorträge zahlte. Die Primitivität solcher Vorhalte birgt den Kern dessen, was heute multimedialer Standard der "Vergangenheitsbewältigung" ist. Inklusive schlechter Recherche, die Linder beisteuert: Bei ihm ist Kempner Deutscher und noch bis 1935 Justitiar der preußischen Polizei. Diesen Posten mußte der "furchtbare Jurist" (Günter Maschke) bereits 1933 seiner jüdischen Herkunft wegen und als "Erfinder" des Vorschlags, Hitler verhaften zu lassen, überstürzt verlassen.

Bahnreform. Während in der Großen Koalition gerade um den Grad der Privatisierung des Staatskonzerns gerungen wird, haben der Zeit-Redakteur Mark Spörrle und sein Journalistenkollege Lutz Schumacher vom mecklenburgischen Nordkurier eine ganz eigene Zustandsbeschreibung der Bahn AG abgegeben. Ihre Absicht, unternehmerische Verirrungen - seien es die Kundenferne offenbarenden Anglisierungen, das untransparente Tarifsystem oder Unzulänglichkeiten bei Sauberkeit oder Pünktlichkeit - launig zu karikieren, ist allerdings gründlich in die Hose gegangen. Die wenig originellen Quängeleien an die Adresse des dafür schon fast überstrapazierten Bahnchefs Mehdorn und völlig überzeichnetes Kalauern bar jedes humoresken Gespürs sorgen sporadisch sogar für das wenig behagliche Gefühl des Fremdschämens ("Senk ju vor träwelling." Wie Sie mit der Bahn fahren und trotzdem ankommen. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008, gebunden, 191 Seiten, 12 Euro).

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